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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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und Donnerstag ist die Windham’sche Gemäldesammlung im Erdgeschoss des Rathauses unentgeltlich geöffnet.‹
    Windham! Nein, ich irrte mich nicht; das war der Name gewesen. Ein Windham hatte im letzten Kapitel meines Jugendromans die Hauptrolle gespielt. Nun dämmerte es auch in mir auf, dass ich später einmal gehört hatte, dieser Windham habe sich mit seiner jungen Frau hier in B. niedergelassen. Seitdem war er mir verschollen geblieben. Und nun hier so unverhofft an ihn erinnert zu werden!
    Aber Sie können ja nicht verstehen, was mich an der unscheinbaren Zeitungsnotiz so seltsam aufregte. Ich muss nun doch noch weiter ausholen.
    Sie wissen, dass ich als Sprössling einer unterfränkischen Soldatenfamilie im Kadettenhause zu München erzogen worden bin und es in dem Jahre vor Ausbruch des französischen Kriegs zum Oberleutnant gebracht hatte. Ich war neunundzwanzig Jahre alt und hatte außer meinem Beruf, dem ich mit Leib und Seele anhing, nicht viel erlebt. Eine sehr ideale Fähnrichsliebe, die ein albernes Ende nahm, hatte mich vor den mancherlei Verirrungen meiner Altersgenossen bewahrt, mir aber das weibliche Geschlecht nicht im besten Lichte gezeigt. Doch posierte ich nicht als Weiberfeind, und da ich ein leidenschaftlicher Tänzer war, selbst noch auf der Kriegsakademie, machte ich auch den Karneval des Jahres 70 als einer der Flottesten mit, ohne mir die Flügel zu verbrennen.
    Bis auch meine Stunde geschlagen hatte.
    Auf einem der öffentlichen Bälle erschien so um die Mitte des Februars eine auffallende junge Schönheit, die alle bisherigen Ballköniginnen verdunkelte.
    Sie war erst vor Kurzem mit ihrer Mutter, da der Vater vor Jahr und Tag gestorben war, aus Österreich herübergekommen, um, nachdem sie die Trauer abgelegt hatte, noch etwas Winterfreuden zu genießen. Ihre Gestalt, ihr Benehmen, ihre Art, sich auszudrücken, all das hatte einen fremdartigen Reiz, der schon aus der seltsamen Mischung ihres Bluts zu erklären war. Denn ihre Mutter, eine hochgewachsene, rötlich blonde Schottin von strenger puritanischer Haltung und langsam ungelenken Gebärden, hatte einen steirischen Edelmann geheiratet, der sich auf einer Reise durch ihr heimatliches Hochland in das junge Mädchen verliebt hatte. Sie war ihm nach seinem Gut gefolgt, hatte sich aber dort nicht zu akklimatisieren verstanden. Trotzdem schien sie in einer glücklichen Ehe mit dem leichtblütigen katholischen Gatten gelebt zu haben und seinen Tod noch immer nicht verwinden zu können, als sie mit ihrer Tochter auf Reisen ging.
    Diese, damals schon in den ersten zwanzig, hatte von der Welt bisher nichts gesehen, als was auf zehn Meilen in der Nachbarschaft ihres Landsitzes sich ihr dargeboten hatte. Der Vater, der im Punkt der ehelichen Treue vielleicht nicht der Gewissenhafteste gewesen war und alljährlich viele Monate in Wien zubrachte, hatte seine Frau den Versuchungen der großen Stadt sorgfältig fernzuhalten gewusst und die Tochter vollends vor allem Verkehr mit jungen Männern behütet. Beide hätten es wahrlich nicht bedurft, da ihr kühles Temperament sie hinlänglich schützte. Denn hierin war Abigail – so war das Fräulein nach einem uralten Brauch der mütterlichen Familie getauft worden – das echte Kind ihrer Mutter, der sie äußerlich durchaus nicht ähnlich sah, nicht einmal durch die Farbe des Haares, die bei der Tochter durchaus keinen rötlichen Schimmer hatte.
    Ich will aber nicht den törichten Versuch machen, Ihnen diese reizende junge Person zu beschreiben. Nur zweierlei fiel mir gleich bei dem ersten Begegnen auf und verfolgte mich bis in meine Träume: der seltsam glanzlose Blick ihrer großen grauen Augen, die immer ernst blieben, auch wenn der Mund lächelte, und dass sie die schönsten Arme hatte, die ich je gesehen. Sie trug sie gegen die damalige Sitte ganz entblößt, an den Achseln nur durch einen schmalen Florstreifen von den herrlichen Schultern abgetrennt, was die Damen, zumal die Mütter, skandalös fanden, obwohl die Wiener Mode diese Tracht sanktionierte und das Fräulein im Übrigen sich in Worten und Gebärden aufs Züchtigste betrug. Aber die Arme waren zu schön, um nicht Aufsehen zu machen und so viel Neid wie Bewunderung zu erregen. Eine Farbe wie etwas vergilbter weißer Atlas, mit einem matten Glanz, und in der Biegung des Ellenbogens eine zarte blaue Ader. Selbst die kleinen hellen Narben am linken Oberarm, die von der Nadel des Impfarztes herrührten, hatten einen eigenen Reiz, als

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