- Lasst die Toten ruhen
gehen, sie um ihren Segen zu bitten und dadurch unser Einverständnis zu einer regelrechten Verlobung zu stempeln.
›Wenn Sie mit meiner eigenen Erklärung nicht zufrieden sind‹, sagte sie kaltblütig, ›so tut mir’s leid; zu mehr aber fühl ich mich für jetzt nicht aufgelegt‹, – wahrhaftig, aufgelegt sagte sie und sah dabei zum Verrücktwerden reizend und marmorkühl aus. ›Wenn wir uns in aller Form verlobten, würde ich keine ruhige Stunde haben, sondern mir immer wie Bürgers Leonore vorkommen. Nicht bloß die ewige Unruhe: Bist untreu, Wilhelm, oder tot? Fürchte ich, sondern noch etwas viel Schlimmeres. Ich bin nämlich entsetzlich abergläubisch, oder vielmehr, ich glaube steif und fest, dass jene Ballade nicht eine bloße schaurige Fabel ist, sondern so oder anders, aber in der Hauptsache sich wirklich zugetragen hat. Wenn Ihnen etwas Menschliches begegnet, lieber Freund, und Sie hätten ein festes Anrecht auf mich als auf ihre feierlich Ihnen angelobte Braut – ich schliefe keine Nacht mehr und weiß bestimmt, dass irgendein Spuk meinem armen Dasein ein Ende machen würde. Also lassen Sie uns das Weitere der Fügung des Himmels anheimstellen, und ziehen Sie ins Feld, von meinen herzlichsten Gedanken überall begleitet.‹
Das war nun danach angetan, meine hochgespannte Stimmung unsanft herabzudrücken. Umsonst versuchte ich, mit Ernst und Scherz sie zu rühren, dass sie mir etwas mehr einräumte. Doch nicht einmal das Versprechen, mir zu schreiben, konnte ich ihr abgewinnen und musste mich endlich mit sehr geteilten Gefühlen von ihr losreißen. Nichts von wahrer, warmer Hingebung hatte ich gespürt in der Umarmung, die sie mehr duldete als erwiderte, und die so lang ersehnten Lippen, die ich flüchtig berühren durfte, waren von einer Kühle, als hätten sie nicht soeben ein freundliches, verheißungsvolles Wort gesprochen. Gleichviel – als hoffnungsloser Liebhaber war ich gekommen, und als glücklicher, wenn auch noch nicht erklärter Bräutigam ritt ich wieder davon.
Das Glück war nun freilich nicht überschwänglich groß. Es bestand nur darin, dass ich allen dienstfreien Augenblicken daran denken konnte, welch ein Siegespreis nach Beendigung des damals unabsehlichen Krieges meiner wartete, vorausgesetzt, dass man sich ›dazu aufgelegt‹ fühlen würde, meine Liebe und Treue zu belohnen, und dass ich von Zeit zu Zeit die Versicherung eben dieser Lieb und Treu nebst Berichten vom Kriegsschauplatz nach Tegernsee, später nach München schicken durfte.
Eine Antwort kam nie.
Anfangs hatte ich kein Arg dabei. War’s nicht ganz korrekt, dass ein junges Mädchen einem jungen Manne, mit dem sie nicht in aller Form verlobt war, keine zärtlichen Briefe schrieb? Und andere als zärtliche hätten mich doch nicht glücklich gemacht. Wer weiß auch, ob nicht die puritanische Mama, die ohnehin das Verhältnis nicht billigen mochte, ein entscheidendes Verbot erlassen hatte.
Aber alle Mütter der Welt, alle korrekten Grundsätze hätten ein wahrhaft liebendes Herz nicht abhalten können, dem von Entbehrungen und Gefahren umringten Liebsten ein wenig Trost in die Ferne zukommen zu lassen. Wie beneidete ich meine Kameraden um gewisse Briefchen, mit denen sie sich in irgendeinen stillen Winkel schlichen, um im Genuss einer solchen ›Liebesgabe‹ nicht gestört zu werden. Ich ging immer leer aus, obwohl ich doch meinerseits der Post mehr als mancher Beglücktere zu tun gab. Und eines Tages schämte ich mich der allzu selbstlosen Rolle, die ich spielte. Ich beschloss, keine Zeile mehr zu schreiben, ehe eine Nachfrage nach mir geschehe. Mochte sie mich nun für ›untreu oder tot‹ halten – es war an ihr zu zeigen, ob mein Leben oder Sterben den geringsten Wert für sie habe.
Wochen und Monate vergingen seit diesem Entschluss – und keine Zeile kam. Doch wenn Sie dächten, ich hätte unter diesem völligen Zusammenbruch meiner Hoffnungen schwer gelitten, so würden Sie sich irren. Ich empfand vielmehr eine Erleichterung und erkannte, dass ich all die Zeit in einer trügerischen Illusion von Glück und Liebe befangen gewesen war, da im Grunde nur meine Sinne mit im Spiel gewesen und vielleicht mehr noch ein geheimer Trotz, diesem unnahbaren Wesen doch endlich näherzukommen und das Eis zu schmelzen.
Was mir nun geschehen war, gab mir noch zeitig genug eine heilsame Lehre. Das war keine Frau, wie ich sie brauchte. Ein Glück, dass ich noch mit gutem Gewissen zurücktreten und stehen bleiben
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