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- Lasst die Toten ruhen

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Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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Bibliothek der Eisenbahndirektion in Danzig und schließlich in der Staatspräsidentenkanzlei in Warschau beschäftigt. Für die letzte Tätigkeit wurde er mit verschiedenen Orden ausgezeichnet. 1927 starb er in Jaronty bei Hohensalza in Polen.
      
    Przybyszewski und sein Werk sind bis auf den heutigen Tag beinahe völlig vergessen gewesen. Erst in der jüngsten Zeit wird eine literaturwissenschaftliche Aufarbeitung seiner Rolle im ästhetischen und ethischen Diskurs versucht. Dabei hatte er einst einen bedeutenden Einfluss. Er hat eine Reihe von Essays, Erzähltexten und Dramen hinterlassen, die üblicherweise zur literarischen Strömung der Décadence gezählt werden, zu deren bekanntesten Vertretern Thomas Manns Roman »Buddenbrooks. Verfall einer Familie« gehört. Przybyszewski verwendete entsprechend eine tief bohrende psychologische Symbolik, die sich seiner Intention nach dem Geist widersetzen und vollständig der Seele zuwenden sollte. Zu seiner antibürgerlichen Haltung gehörten die Themenfelder des Individualismus und genialen Künstlers sowie Degeneration und Krankheit. Dieser Ansatz beeinflusste die frühen Surrealisten: Edvard Munchs berühmtes Gemälde »Der Schrei« war von Przybyszewskis Werk »Totenmesse« inspiriert worden. Munchs Werk »Vampir« verlieh er gar erst den bleibenden Titel – ursprünglich sollte es »Liebe und Schmerz« heißen. Auch in der surrealistischen Literatur wurden seine Werke aufmerksam rezipiert. Außerdem war Przybyszewski aufgrund seines Lebensstils Gesprächsthema – seine Exzentrik reichte an die Karikatur eines Bohème-Lebens heran, und in seinen Erzähltexten wie »Satans Kinder« reflektierte er sein Interesse für den Satanismus.
    Die folgende Erzählung »De profundis« ist erstmals 1895 erschienen. Zusammen mit den Erzählungen »Totenmesse«, »Vigilien«, »Androgyne« und »Epipsychidion« hätte Przybyszewski sie gerne als »Pentateuch« veröffentlicht, was aber zu seinen Lebzeiten nie geschah.

De profundis

— Stanislaw Przybyszewski
    Er ging müde und wie zerschlagen nach Hause. Es fröstelte ihn trotz der tropischen Hitze. Im Halse fühlte er feine, scharfe Stiche wie von glühenden Nadeln.
    Jetzt würde er wohl ernstlich krank werden. Er fühlte es kommen. Und gerade hier: in einer fremden Stadt …
    Er ging schnell die Straße entlang. Nach Hause. Bald trat ihm kalter Schweiß auf die Stirne, eine unangenehme feuchte Hitze kroch schwül über seinen Körper, und die Stiche im Halse wurden noch häufiger und schmerzhafter.
    Die Angst wühlte sich tiefer und banger in sein Blut: Er begann zu laufen.
    Oben auf seinem Zimmer warf er sich aufs Bett.
    Sein Herz schlug gewaltsam. Er fühlte, er hörte die feinsten Adern klopfen und zittern und sich in wachsender Macht mit Blut füllen, als ob sie platzen wollten.
    Er setzte sich behutsam im Bett zurecht, nun reckte er sich langsam hoch: Es wurde noch schlimmer. Er schob die Kissen gegen die Wand, legte sich halb hin, presste die Stirn gegen die kalte Wand und horchte auf das Fieber.
    Allmählich glättete es sich in ihm. Das Blut floss langsam zum Herzen zurück. Er hustete frei auf, ohne Schmerzen.
    Er wartete. Ob es nicht wiederkäme?
    Nein: Das Herz schlug fast ruhig, nur seine Hände fieberten und er war wie gebadet in Schweiß.
    Er knöpfte langsam die Kleider auf und trocknete sich die Stirn. Nur seine Hände: Sie glühten so heiß und so feucht.
    Nun ja: Es war nicht das erste Mal. Es wird sicher vorübergehen.
    Seltsam, dass er jedes Mal, wenn er von seiner Frau wegfuhr, von diesem Fieber befallen wurde. Jetzt sollte er sie hier haben: Nur ihre Hände festhalten, und alles würde gut werden. Er würde sicher gleich einschlafen …
    Wieder begann es, in ihm zu schwellen. Sein Körper fing von neuem an zu zittern, es würgte ihn im Schlund und seine Fäuste ballten sich krampfhaft.
    Eine kranke Sehnsucht nach ihren Händen, eine quälende Gier, ihren Leib an sich zu pressen, sein Gesicht auf ihre Brust zu legen: Deutlich fühlte er ihre Hand mit leisen Schauern über seinen Körper gleiten und rinnen. Das Gefühl wurde so visionär deutlich, als wäre sein Tastsinn ein Organ für sich geworden mit einem selbstständigen Gedächtnis: Er unterschied die feinste Gefühlsnuance, die er doch sonst nur bei der wirklichen Berührung ihres Körpers empfand.
    Und die Sehnsucht fing an zu sprießen und schwoll und schoss wild hinauf. Die Qual krümmte seine Finger und zerrte an seinen Nerven, er kauerte

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