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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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den zerfleischten Rücken einer ganzen Menschheit und die Verzückung des Wahnsinns in dem vertierten Auge.
    Und langsam hörte er den Zug sich entfernen, die dumpfen, qualtrunkenen Töne klangen wie das Röcheln der letzten Agonie und die kupferrote Flammensonne warf grüne, schillernde Lichtstreifen über die Sümpfe von Blut.
    Ad te clamamus exules filii Hevae!, hörte er plötzlich in sein Ohr kichern: Ein Weib glitt in sein Bett. Ihre Glieder wanden sich langsam um seinen Körper, zwei schmale Arme umklammerten ihn fest, schmerzhaft fest, und er fühlte die Spitzen zweier Mädchenbrüste sich in seinen Körper hineinglühen.
    Er erstickte. Sein Herz schlug nicht mehr, nur ein geller Sturm der Wolllust zerwühlte sein Hirn. Ihr heißer Atem versengte sein Gesicht, und ihre Lippen saugten sich ächzend an seinem Munde fest. Wie weißes Eisen glühte ihr Leib.
    Da fühlte er wieder den Zug herannahen, sich wie einen Knäuel von verstrickten Leibern dumpf und schwer heranwälzen: Ein Knäuel von Leibern, die sich bissen, mit rasenden Fäusten aufeinander losschlugen, sich zerstampften und in Höllenqualen auseinanderrissen, aber sich nicht zu trennen vermochten. Der Gesang wurde zu einem Geheul von wilden Bestien, die Verzweiflung kreischte grell in einem Triumph der Tollwut und die Finger brachen in dem verblutenden Halleluja des Vergehens.
    Er lachte, er schrie mit, aber er ließ das Weib nicht los. Er fraß sich mit den Fingern in ihren Leib. Ihr Herz fühlte er in seinem Körper klopfen, schwer, dumpf wie einen Klöppel gegen die geborstene Metallwand der Glocke, zwei Herzen fühlte er plötzlich Blut in sein Gehirn emporschießen, sich aneinander reiben, und einander wund zerschürfen.
    »Ad te supiramus gementes et flentes in hac lacrymarum valle« …
    Die Verzweiflung kippte um in einen Abgrund von Hass, in eine zuckende, geifernde Blasphemie, er fühlte den Menschenknäuel den Himmel anspeien, er hörte ihre Lungen in einem grässlichen Schrei auseinanderreißen: Mörder! Mörder!
    Jetzt erlahmten seine Hände, er ließ sie los. Und da wälzte sie sich über ihn, er hörte sie schreien, er fühlte, wie sie mit den Zähnen ihm die Halsadern zerschnitt, wie sie ihre Hände wühlend in seinen Körper vergrub.
    Und von Neuem steifte sich sein Körper. Er warf sich über sie her, er legte sich über sie mit verzweifelter Kraft: Ihr Leib wand und bäumte sich. Aber er war stärker. Er fesselte den widerspenstigen, zuckenden Körper mit Händen und Beinen, sein Leib warf sich ein paar Mal auf und ab im schmerzhaften brutalen Krampf: Der wilde Sturm barst in einem langen, verröchelnden Laut.
    Noch hielt er fest ihren Leib umschlungen. Ihre Glieder lösten sich. In ihren Händen zuckte sein Herz wie eine verlöschende Flamme. Die letzte Schauerwoge verebbte: Ein unsagbar ruhiges Glück tauchte in sein Blut.
    Da: Plötzlich fühlt’ er sie entweichen, ihre Glieder glitten langsam an seinem Körper entlang; er griff nach ihr, verzweifelt sprang er ihr nach …
    Agaj!, schrie er, Agaj!
    Im selben Nu stolperte er, stürzte lang hin und kam zu Bewusstsein.
    Er lag auf dem Boden.
    Da warf er sich auf das Bett, die Angst nestelte auflösend an seinem Hirn.
    Das war nicht Traum, das war mehr, wie es jemals in der Wirklichkeit sein konnte, tausendmal mehr, schrie er in sich hinein … Sollte er wirklich wahnsinnig werden?
    Mit letzter Kraft warf er alle Gedanken aus dem Kopf, mit Verzweiflung klammerte er sich an eine dumme Erinnerung, aber das Hirngespinst seines Fiebers goss sich schäumend über seine Seele: Er fühlte so lebendig die Wolllustraserei ihres Körpers, seine Lippen waren wund, sein Körper wie gebrochen von der Brunst ihrer Umarmung.
    Das war Agaj – der Alb Agaj – der Vampir Agaj!
    Er fuhr entsetzt auf:
    Sie war es wirklich, sie konnte zugleich an zwei Stellen sein. Sie konnte sich teilen, und jetzt war sie bei ihm.
    Er fühlte, dass die Angst ihn jetzt töten würde. Er wollte Licht anzünden. Seine Hände zuckten und flackerten. Endlich gelang es ihm.
    Das beruhigte ihn einen Augenblick.
    Und plötzlich, wieder von Neuem kam über ihn ein wilder Paroxysmus von Gier und Sehnsucht nach Agaj. Und schon wollte er sich von Neuem in die Fieberorgie dieser blutschänderischen Wolllust werfen. Er brauchte nur das Licht auszulöschen, und er würde es von Neuem erleben.
    Aber die Angst schoss in ihm empor. Ein Strom von Angst staute sich in seinem Hirn: Das würde sein Leben kosten.
    Er faltete krampfhaft die

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