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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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zusammengekrampft, als wollt’ er sich in seinen eignen Leib einwickeln.
    Er fuhr auf und kam zur Besinnung. Sein Herz lief, eine rasende Angst bäumte sich steil in ihm hoch. Mit wachsendem Entsetzen hörte er auf das Klopfen und Brausen in seinem Körper. Er fühlte das Blut mit wütendem Drang die Gewebe anfüllen und auseinanderreißen.
    Er sprang auf, blieb stehen, dumpf, starr. Seine Glieder flogen und seine Zähne klapperten in Fieberfrost.
    Was sollte er nur anfangen?
    Er durfte sich um Gottes willen nicht eine Sekunde dieser Qual hingeben, sonst würde er sicher die Nacht nicht überleben.
    Mit zitternder Ungeduld suchte er nach den Streichhölzern. Die Vorstellung, dass er sie vielleicht nicht finden würde, brachte ihn der Ohnmacht nahe, er tappte umher und atmete tief auf: Sie waren da.
    Er zündete das Licht an und blieb lange reglos stehen.
    Nun musste er an etwas denken, an irgendetwas Gutes und Ruhiges, etwas, das sich wie ein Ruhekissen unter seinen Kopf schöbe.
    Plötzlich entdeckte er einen Brief – auf dem Tisch mitten unter seiner Wäsche.
    Dass er den ganzen Tag nicht daran gedacht hatte, nachzusehen, ob ein Brief da wäre.
    Es ging etwas Besonderes in ihm vor. Er ging ganz wie im Traum. Und jetzt hatte er keinen Mut, den Brief zu öffnen. Wenn irgendetwas Unangenehmes drinstand! Das würde sicher sein Gehirn zerstören.
    Da wurde er wütend. Lächerlich, dass ihn das bisschen Fieber so herunterbringen konnte. He, he: Ein bisschen Fieber nicht überwinden zu können! He, he: Das bisschen Fieber würde er schon überwinden. Er hatte ja doch schon viel Schlimmeres durchgemacht …
    Über seinem Gehirn lag etwas wie eine feine Eisplatte. Das kühlte förmlich. Er wurde plötzlich so ungewöhnlich klar. Aber es war, als würde die Gehirnmasse verdrängt, tiefer gepresst, die kühle Eisplatte wuchs zu einem Eisklumpen an, die Kälte begann wehzutun: Jetzt fuhr es ihm in langen, glühenden Striemen über den Rücken: Er lachte heiser auf.
    Na natürlich! Ein ganz gewöhnliches Fieber …
    Er zerknitterte krampfhaft den Brief.
    Ein ganz gewöhnlicher Fieberanfall … Er begann zu pfeifen.
    Nun fühlte er lange Nadelstiche in der Brust.
    Aha: alte, gute Bekannte … Wieder lachte er laut: Das würde ihn sicher nicht aus dem Konzept bringen, dazu müsste die Tortur viel, viel schmerzhafter sein.
    Er ging langsam herum, lachte und pfiff.
    Ja, richtig: eine Zigarette!
    Aber der Rauch machte ihn schwindlig.
    Nicht einmal rauchen durfte er: Das war doch wirklich schändlich. Das hatte aber doch nichts zu bedeuten, er war nur sehr schwach. Natürlich: Wenn man nicht isst, wird man schwach.
    Ja, der Brief, der Brief …
    Er zerriss resolut das Kuvert, aber die Buchstaben tanzten vor seinen Augen, er sah lange hin, sammelte seine ganze Willenskraft und zwang sich schließlich, den Brief zu lesen und zu verstehen.
    Er las langsam. Die Buchstaben waren so sonderbar lebendig. Als hörte er ihre Stimme, nur in einer neuen Form gegliedert:
    Mein teuerster, mein einziger Mann, Du – Du … mein!
    Schon eine Woche, seit Du weg bist. Willst Du noch länger bleiben?
    Ich bin neugierig, was Du den ganzen Tag über in der Stadt machst. Hast Du Deine Mutter besucht? Natürlich nicht. Aber mit Agaj bist Du oft zusammen, nicht wahr? Es muss ihr doch sehr schwer sein, fortwährend zwischen Dir und Deiner Mutter zu vermitteln. Sie ist ein so prachtvolles Mädchen. Ich liebe sie fast ebenso sehr wie Dich und ich habe so oft über ihre Liebe zu Dir nachgedacht. Sie liebt Dich eigentlich gar nicht wie eine Schwester. Ich habe nie etwas Ähnliches unter Geschwistern gesehen? Bist Du sehr oft mit ihr zusammen?
    Und morgen werden es zwei Jahre, seit wir verheiratet sind. Denk’ nur: zwei Jahre! Hast Du den Tag vergessen? Ich bekomme doch sicher morgen einen langen, schönen Brief von Dir? Oder – oder? Ich wage es nicht zu hoffen, aber vielleicht kommst Du selbst?
    Nein, nein, komm’ lieber nicht. Ich habe das Gefühl, dass es Dir in der Stadt gefällt, und das macht mich glücklich. Du hast so entsetzlich gearbeitet und jetzt musst Du ein bisschen Abwechslung haben, ein wenig Luftveränderung, nicht wahr?
    Aber wenn Du kämest, das wäre wunderbar. Ich liebe Dich – Du!
    Du fühlst Dich doch sehr wohl – wie? Dann bleib’ nur lieber, bleib’, mein Teuerster Du! … Und weißt Du, ich bin manchmal eifersüchtig auf Agaj, ich habe Angst, dass Du sie mehr liebst wie mich. Aber das ist doch Unsinn, nicht wahr? Du musst sie

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