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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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hatte Lust, sich auf die Knie zu werfen und Gott zu danken für die Erlösung.
    Er ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab.
    – Gott! Was ist das?, schrie er plötzlich auf.
    Auf dem Schreibtisch lag ein Blatt Papier und darauf in flüchtiger, unsicherer Schrift ein Telegramm an seine Frau:
    »Komm sofort. Es geschieht etwas Furchtbares mit mir!«
    Es war seine eigne Schrift.
    Eine dumpfe tierische Angst wirbelte in ihm auf: Er hatte die ganze Zeit nicht ein Wort geschrieben. Er wusste genau, dass er eine Feder nicht angerührt hatte.
    Er sank hin, aber immer wieder musste er auf das entsetzliche Blatt hinstarren.
    Kein Mensch außer ihm konnte es geschrieben haben. Das war seine eigne Schrift.
    Da fingen plötzlich die Buchstaben an, sich zu rühren, sie lösten sich von dem Papier los, sie wurden lebendig, schwirrten vor seinen Augen in irren Kreisen, alles um ihn fing an, sich zu bewegen: Er warf sich lang auf die Erde und vergrub das Gesicht in den Händen. Seine Seele kauerte: Jetzt wird es kommen. Er fühlte sich eingeengt, die Wände rückten näher, alles im Zimmer schob sich ihm näher, umstellte ihn, versperrte ihm den Ausgang. Er kroch eng in sich zusammen.
    Vor seinen Augen stieg das furchtbare Porträt auf, es wuchs über den Deckel hinaus, schon schielte es aus dem Buch hervor, schon zwinkerte es boshaft mit den Augen.
    Er sprang auf: Vor ihm stand er selbst. Das Gesicht war schmerzzerfurcht und die blutigen toten Augen starr auf ihn gerichtet.
    Er war wie eingewurzelt in den Boden.
    Da sah er sein Gesicht zucken, alle Muskeln liefen, alle Fibern klopften, die Zähne schlugen hörbar aneinander, die Augen schlossen sich krampfhaft und rissen sich wieder weit auf: Er stürzte aus dem Zimmer, als wäre er von tausend Furien gepeitscht, lief über die Straßen aufs Feld, weiter noch in den Wald hinaus: Er stürzte zusammen.
    – Was nun? Was nun?, zuckte es unablässig in seinem Gehirn, da verlor er die Herrschaft über sich, vergrub sich in das feuchte Moos, tiefer noch, er verscharrte sich in die weiche Erde: Nun war er geborgen!
    Er lachte in heißem Triumph, dann schrie er mit allen Kräften auf: Er hörte sich, er fühlte auch einen heftigen Schmerz in der Lunge: Er besann sich lange auf sich selbst. Ja, er hatte geschrien! Er versuchte, die Ursachen seines Lungenschmerzes herauszufinden …
    Da rüttelte sich sein Gehirn auf. Er setzte sich hin und dachte nach. Jetzt fühlte er nichts mehr: nur eine weite, blöde Ruhe. Er suchte, sich Rechenschaft über seine Gedanken zu geben, er fühlte etwas mühsam in seinem Gehirn arbeiten: Er wusste nicht, worüber er dachte, er suchte, sich qualvoll darauf zu besinnen, aber vergebens.
    So saß er in einer stumpfen Resignation. Er wusste nicht, wie lange er so saß.
    Plötzlich fühlte er Fieberfrost, so heftig, dass er seinen Körper nicht bemeistern konnte, er drohte, auseinanderzufallen.
    Er stand auf, fing an zu laufen und schlug den Körper mit den Armen, so hatte er immer als Knabe getan, wenn ihn gefroren hatte.
    Dann lief er wieder im Kreise herum und schlug dabei immer mit den Armen auf die Brust.
    Mit einem Ruck blieb er stehen.
    Das Kind! Mein Kind!, schrie er auf. Mein Kind wird mich retten, es wird mich retten – mein Kind, mein Kind, mein Blut!
    Er horchte: eine öde, taube Stille.
    Wo war er? Wo war er nur?
    Angst packte ihn.
    Er lief auf das freie Feld hinaus.
    Ein blutiger Schein am Himmel! Der Himmel brennt, zuckte es ihm durch den Kopf. Götterdämmerung! Jetzt wird der Menschensohn heruntersteigen, um das Gericht zu halten.
    Er stand und starrte unablässig nach dem Feuerschein am Himmel.
    Eine Erinnerung mühte sich qualvoll aus der Nacht seiner Seele.
    Er atmete glücklich auf: Dort lag die Stadt. Und dies da am Himmel – das ist ja der Schein des elektrischen Lichtes.
    – Mein Kind, mein Weib, meine Erlösung!, fuhr es ihm wieder durch das Gehirn.
    Er schnellte auf. Eine unerhörte Energie ergoss sich über seinen Körper. Er schritt mit weiten, triumphierenden Schritten der Stadt zu.
    Oh, er kannte seine Erlösung, er kannte die Sonne, die in seinen Wahnsinn mit reinigender Macht hinabtauchte.
    Plötzlich packte ihn ein furchtbares Grauen: Gott! Allmächtiger Gott, wenn sie nicht da ist?
    Er fing an zu laufen, er vergaß seinen Körper. Er selbst war nur ein großes, klopfendes Herz, er fühlte es den Boden berühren und in wilden Sprüngen aufschnellen; er kam in die Stadt.
    Da schlich er langsam wie ein Dieb: Er fühlte, dass sein

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