- Lasst die Toten ruhen
Ende komme, wenn sie nicht da sei.
Schließlich kroch er fast. Er wagte nicht, an das Denkmal heranzukommen: Er sah es in dumpfer Stille aufragen, kalt, grausam wie sein Schicksal, er sah es sich in einen großen Dunstkreis auflösen, der zu schwirren und zu kreisen anfing, er fühlte den Boden sich um ihn drehen, heftiger, schneller noch, er taumelte … da plötzlich: Aus den kreisenden Dunstringen quollen ihm zwei Augen.
Eine unermessliche Freude zerriss ihm mit flackerndem Licht das Gehirn: Er klammerte sich um ihren Arm, er presste sie an sich, zerrte an ihr, streichelte, liebkoste sie und lachte in irrer Seligkeit.
Nun war alles Furchtbare versunken und vergessen: Er hielt sie fest, er wagte nicht, ihren Arm loszulassen.
– Ich habe gestern auf dich gewartet, die ganze Nacht, sagte sie leise.
Er zitterte und konnte kaum gehen: Die Freude hatte ihn gelähmt.
– Jetzt bin ich erlöst. Durch dich – durch dich! Er kicherte. Ich hätte heute sterben müssen, aber jetzt bin ich erlöst. Du hast mich wiedergeboren, sagte er grübelnd.
Sie sprach etwas.
– Ein Vampir?, hörte er heraus.
Er blieb erschreckt stehen.
– Aber weißt du nicht, dass wir nur durcheinander wiedergeboren werden?, sagte sie geheimnisvoll.
– Du – du … auch?, stammelte er.
Sie antwortete nicht.
– Bist du hier? Hier?, fragte er entsetzt. Er betastete sie mit der Hand.
– Bist du da?, fragte er wieder.
Er fing an, zu stottern und zu zittern.
– Ja, ich bin hier. Ich fasse jetzt deine Hand. Fühlst du sie? Oh, wie deine Hand brennt!
Er beruhigte sich.
– Bist du Agaj?, fragte er nach einer Weile.
– Ist das dein Vampir?
Er nickte stumm.
– Du bist nicht Agaj?, fragte er wieder nach einer langen Pause.
– Nein!
Endlich kamen sie an.
Diesmal kam es ihm vor, als ob sie durch eine endlose Flucht von Korridoren gingen, durch eine trostlose, verlassene Öde von Zimmern. Er hörte das leise Echo seiner Schritte, wie ein rhythmisches, taubes Herzklopfen.
– Ich habe nicht Angst!, sagte er plötzlich.
Eine lange Zeit verging.
– Hier!, sagte sie endlich.
Er atmete auf.
– Oh! Ich bin so fürchterlich müde! Er konnte nicht unterscheiden, war es seine, war es ihre Stimme?
Er fing an zu zittern.
– Ich bin bei dir! Sie hielt seine Hand fest.
Nie hatte er eine so dunkle Stimme gehört. Das war Agaj’s sammetdunkles Fleisch.
Sein Herz krampfte sich zusammen.
– Sprich, sprich zu mir! Er presste ihre Hand.
– Du bist so krank, du bist so krank, wiederholte sie leise und presste ihre Wange an seine.
So saßen sie lange, lange auf dem Rand des Bettes.
Er wurde ruhig und weich wie ein Kind.
– Wie gut du bist! Wie unendlich gut!, flüsterte er auf ihre Lippen.
– Jetzt leg dich hin. Ich werde bei dir schlafen. Ich werde dich halten. Sieh’, sieh’, du bist jetzt so ruhig, dein Fieber ist weg.
Sie entkleidete sich und legte sich neben ihn.
– Ich werde dich in meine Haare einwickeln, flüsterte sie und machte ihr Haar auf … Mein Haar ist so lang, es reicht mir über die Knie …
– Dein Haar ist weich wie Seide! Oh, viel weicher noch.
– Ist dein Haar schwarz?, fragte er nach einer Pause.
– Nein!
– Sind deine Augen schwarz?
– Nein!
Sie schwiegen lange.
– Ich werde dich auf deine Brust küssen, sagte sie plötzlich. Deine Brust glüht, und meine Lippen sind so kühl.
Sie küsste ihn.
– Noch, noch!, bat er flehend.
Sie küsste ihn über die ganze Brust, dann verschränkte sie ihre Hände um ihn, das Haar ergoss sich in seidener Flut über seinen Körper, sie legte ihren Kopf an seine Brust.
– Du wirst nicht von mir gehen?, fragte sie ängstlich.
– Nein, nein … oh’, jetzt ist alles vorüber.
* * *
Nun war es wohl Mittagszeit. Er fühlte, dass er jetzt endlich werde etwas essen können. Das machte ihn glücklich. Nun war er auch Agaj los.
Er lächelte. Er lächelte jetzt immer still und geheimnisvoll.
Es klingelte.
Er schrak empor und begann zu zittern.
Das war sie! Ja, sie! Er fühlte sie.
Agaj trat ein. Ihr Blick fraß sich ihm ins Mark.
Sie setzte sich ihm gegenüber und sagte lange kein Wort.
Plötzlich warf sie den Kopf auf und sagte höhnisch:
– Wo hast du dich denn gestern vor mir versteckt?
– Ich habe mich gar nicht versteckt, sagte er ruhig. Ich wollte dich einfach nicht mehr sehen.
Er erschauerte. Aus der Hölle der abgründigen Augen dieses Weibes schoss ein kranker Hass hervor.
– Du warst die ganze Zeit bei dem Mädchen! Er glaubte,
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