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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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nicht kenne. Ich sehne mich bis zum Wahnsinn nach dir … Du bist der größte Mensch, den ich kenne, du bist mein größter Künstler, und ich würde mit Freude deine ganze herrliche Menschlichkeit, deine ganze gewaltige Kunst für ein Stück deiner nackten Haut geben … Sieh’, sieh meine Arme, sie sind so schmal, aber sie haben Muskeln von Stahl … Wie oft hab ich dich nicht mit diesen Armen in meinen Nächten umfasst und an mich gepresst! … Sieh meinen schmalen Körper, wie oft hat er sich nicht über den deinen gewunden! … Und, und …, sie stotterte verwirrt, … im letzten Momente trennt uns etwas, reißt uns auseinander … Das ist wohl dasselbe Blut … Fühlst du es nicht?
    – Ja, jetzt fühl’ ich es.
    Sie raffte sich plötzlich zusammen.
    – Ja, du, du … Lach’ doch!
    Er lachte.
    – Sind wir verrückt?, fragte sie.
    – Ja.
    Ihre Hände verflochten sich krampfhaft. Ihre Gesichter verzerrten sich schmerzhaft.
    – Geh’, geh’, flehte sie schluchzend. Der Wahnsinn kommt, der Wahnsinn kommt … Geh’, geh’!
    – Ich bleib’ bei dir!, sagte er hart.
    Sie starrte ihn in entsetzlicher Angst an.
    – Dein Wille schwillt …, sie kam in eine furchtbare Erregung. Dein Wille schwillt so grässlich an. Jetzt bekommst du Macht über mich … Du bist so grässlich stark … Geh’, geh’ … mein Kopf kracht und meine Brüste glühen … Feuer in meinem ganzen Körper.
    Sie sank an ihm nieder und umklammerte seine Beine.
    Seine Seele brach plötzlich in einer stumpfen Verzweiflung. Das Empfinden hatte sich von seinem Willen losgelöst, er wurde machtlos. Eine dumpfe öde Leere gähnte in seinem Gehirn.
    Sie setzte sich auf seinen Schoß, lehnte ihren Kopf an seine Brust und weinte.
    Dann nahm sie seinen Kopf, küsste ihn auf den Mund, auf die Augen und sah ihn fortwährend an mit einem Blick, in dem die Verzweiflung in ein brütendes Jenseits vom Schmerze zerbrochen war.
    – Jetzt geh’, geh’!
    Er erhob sich mechanisch. Seine Seele war taub.
    Sie führte ihn an’s Fenster.
    – Sieh’ das Meer! Wie gut wäre es, mit dir da unten zu liegen – in deinen Armen, deinen Armen … aber ich liebe deine Frau. Sie würde den Schmerz nicht überleben … nein, nein! Es müsste furchtbar sein, mit diesem Schmerz an dich zu denken. Ich muss allein.
    – Ja, sagte er nachdenklich.
    Sie führte ihn hinunter. Sie traten in den Garten.
    Sie blieben stehen.
    Plötzlich stürzte sie sich auf ihn, sog sich tief in seinen Hals, biss sich mit den Zähnen fest und riss ihm die Haut auf.
    Er stöhnte leise.
    Er hörte, dass die Tür zugeworfen wurde, er fühlte einen heftigen Schmerz, er griff mit der Hand nach dem Hals: Seine Hand wurde blutig.
    Er lächelte.
    Sein Gehirn war leer.
    Er ging mit weiten, festen Schritten.
    – Sie wartet auf mich am Denkmal, schoss es ihm durch’s Gehirn.
    Er machte eine weite abwehrende Handbewegung und lächelte wieder.
    Über seine Seele ergoss sich ein stiller, endlos weiter Triumph.
    * * *

    Als er nach Hause kam, machte er mechanisch das Fenster auf, setzte sich auf das Fensterbrett und starrte in die Tiefe.
    Jemand ging mit einer Laterne über den Hof.
    Das Licht, dies taube Irrlicht in der Tiefe interessierte ihn sehr.
    Der Andre war im Zimmer. Er sah ihn grinsen, er sah das fürchterliche, verzerrte Gesicht. Aber er hatte keine Angst mehr. Er zuckte verächtlich mit den Achseln.
    Und wenn ich mich in tausend Ichs spaltete, würd’ ich doch allein bleiben. Agaj ist ja nicht mehr.
    Da ist das Meer – und da unten dieser steinige, gepflasterte Abgrund.
    Er wich unwillkürlich zurück und machte Licht an.
    Ein Brief auf dem Tisch. Er riss ihn auf. Von seiner Frau.
    »Mein Gott, was ist mit Dir? Warum schreibst du nicht ein Wort? Ich sterbe hier vor Angst um Dich.«
    Er lächelte und küsste dreimal den Brief. Dann setzte er sich aufs Bett.
    Er empfand wieder einen brennenden, stechenden Schmerz. Er ging an die Waschtoilette und wusch sich die Wunde aus. Sein Rock war über und über blutig.
    Er nahm ihn ab. Das sah ekelhaft aus. Dann löschte er das Licht und legte sich aufs Bett.
    Plötzlich fühlte er wieder den Menschenknäuel sich heranwälzen. Langsam, wie ein kauerndes Gebetmurmeln. Es kam näher, es schwoll an, wie ein irres Stammeln, dann ging es wie ein röchelnder Marterseufzer durch die Luft.
    Und jetzt wieherte es gell auf, ein höllisches Hohngelächter zerriss die Luft, schwoll an, ballte sich zusammen, wirbelte sich in die Tiefe und schoss dann mächtig,

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