- Lasst die Toten ruhen
angehende Verbrecher, der da brütet über seiner ersten blutigen Tat, und die Sterne fanden ihn abends schon wieder an der Gruft. Um Mitternacht erschien auch der Zauberer. Hast du überlegt?, fragte er wie gestern. Was soll ich überlegen?, stürmte Walter entgegen; Ich will nicht überlegen; ich fordere meine Seligkeit von dir. Oder verhöhnst du mich, so hebe dich weg von mir, dass ich meine Hand nicht an dich lege. Nochmals warne ich dich, erwiderte gelassen der Alte, Lass die Toten ruh’n. – Sie soll nicht ruhen in kalter Erde! Sie soll ruhen an meiner heiß verlangenden Brust. – Bedenke! Du kannst nicht von ihr scheiden, bis an den Tod, wenn auch Hass und Abscheu sich deines Herzen bemächtigen. Es gäbe dann nur ein grauenvolles Mittel – – – Tor! Tor!, unterbrach ihn Walter; Wie sollte ich hassen, was ich glühend liebe? Wie verabscheu’n, wonach jeder Tropfen meines Blutes sich brennend sehnt? Gut, sprach der Alte. So tritt zurück.
Nachbemerkung
»Lasst die Toten ruhen« wurde üblicherweise zu den Märchen gerechnet. Ursache dafür mag die dräuende Verwendung der Zahl Sieben, der Zauberwurzel, der Schutz gewährenden Höhle usw. sein. Schon Stefan Hock weist in »Die Vampirsagen und ihre Verwertung in der deutschen Literatur« darauf hin, dass diese Ähnlichkeit nur äußerlich ist. Hock selbst ordnet die Geschichte dem Ritterroman zu; die Verwendung des Vampirmotivs sei ein Kniff gewesen, um das arg strapazierte Thema noch einmal verwenden zu können – ob er damit der Wahrheit nahekommt, sei hier einmal dahingestellt, aber festzuhalten ist die Verschmelzung von Motiven der Märchen und Sagen mit denen des Ritterromans.
Wie schon bei Rauschnick so kommen auch bei Raupach die Motive der verleumdeten Gattin und der dämonischen Verführerin zum Einsatz. Die verleumdete Gattin indes reichlich ungewöhnlich, denn üblicherweise ist sie eine wichtige Figur. Je nach dem, ob der Gatte sich für die erste Liebe und rechtmäßige Gattin oder gegen sie entscheidet, fällt sein Schicksal positiv oder negativ aus. Hier ist es andersherum. Die erste und wahre Liebe ist Brunhilde, doch mit ihren Tod ist sie nicht mehr rechtmäßig, sondern sogar unrechtmäßig. Die zweite und schwächere Liebe zu Swanhilde wird zur rechtmäßigen. Walter verleumdet Swanhilde, doch diese ist völlig passiv – von ihr selbst geht keinerlei Bedrohung für Walter aus. Doch als Walter sich besinnt und die unrechtmäßige Liebe zu Brunhilde verleugnet, gerät er in über das Leben hinausreichende Gefahr – seine Zerstörung folgt auf dem Fuße.
Hock zählt Raupach zu den Nachahmern Polidoris, was zunächst einmal verblüffen mag, denn vergleicht man »Lasst die Toten ruhen« mit »Der Vampir«, so findet man nur wenige Übereinstimmungen. Am augenfälligsten sind die Differenzen der Settings. Wo Aubrey sich in einer realistischen und (für die Entstehungszeit) modernen Gesellschaft bewegt, lebt Walter in einer märchenhaften, archaischen Gesellschaft. Während Aubrey viel reist, bleibt Walter im Wesentlichen in seiner Domäne, während bei Raupach poetische Gerechtigkeit waltet, kommt Polidoris Unhold ungestraft davon. Will man Hocks Ansicht nicht völlig von der Hand weisen, so muss man sich dem Vampirmotiv zuwenden. Hier gibt es klare Unterschiede wie einige Ähnlichkeiten. Sowohl Brunhilde als auch Lord Ruthven sind ihrem Wesen nach Verführer, die ihr Umfeld ins Verderben ziehen; anders als Ruthven ist Brunhilde aber noch an eine einzelne Person gebunden. Beide scheinen im Großen und Ganzen ein normales Leben zu führen, für dessen Erhalt sie allerdings Blut trinken müssen. Ruthven trinkt anscheinend nur einmal im Jahr nach einem nicht weiter ausgeführtem Ritus Blut von Frauen, Brunhild Tag für Tag, so beiläufig, wie Menschen sich ernähren, das von jungen Leuten. Diese Leben kann man mit recht banalen Mitteln beenden – Ruthven wird von einem Flintenschuss, Brunhilde durch einen Dolchstoß getötet. Doch damit sie wahrhaft tot bleiben, sind besondere Bedingungen zu berücksichtigen. Beide werden von den Mondstrahlen vitalisiert; deshalb wird Ruthvens Leichnam in die Berge getragen, deshalb wird Brunhilde bei Neumond erdolcht.
Raupach einen Nachahmer Polidoris zu nennen scheint mir verfehlt: Zu weit gehen die Geschichten als Ganzes auseinander und auch das Vampirmotiv weist zu klare Differenzen auf, selbst wenn man den Veilchen-Atem nicht beachtet.
Vorbemerkung
Karl Spindler wurde 1796 in Breslau, damals
Weitere Kostenlose Bücher