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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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trat zu ihm an das Grab. Was jammerst du, sprach er, Törichter, um ein zerfallenes Gewebe von Nerven, Sehnen und Adern? Völker sind gefallen unbeklagt; Welten, die am Himmel leuchten, ehe die Erde ward, sind eingeäschert worden, sind gestorben, und keiner hat um sie geweint: Was winselst du um einen versunkenen Menschen, die Frucht des Augenblicks, wo ein Stäubchen entbrannt gegen ein Stäubchen? Walter richtete sich empor: Lass die Welten, erwiderte er, Ihre Schwestern beklagen; ich Sonnenstaub weine um den Sonnenstaub: Ist die Liebe doch nicht Wasser noch Feuer, weder Luft noch Erde, dass eine Welt mehr Liebe fassen könnte, denn ein Sonnenstäubchen: Und ich liebte, die hier versank. – Wird deine Klage sie wecken? Und gibt es einen Menschen, der, wo seine Klage einen geliebten Toten erweckt hätte, diesen nicht halb zwänge, zu sagen: Warum beklagst du mich? – Hebe dich weg! Wer du auch seist, du kennst die Liebe nicht. O, dass meine Tränen die schwere Erdendecke über ihr zerschmelzen, meine Klagetöne sie wieder ins Leben rufen könnten! Sie würde nicht zurückkehren ins stumme Grab. – O du Törichter! Würdest du nicht zurückschaudern vor der Erstandenen? Bist du noch derselbe, von dem sie schied? Ist etwa die Zeit spurlos über dein Haupt geflogen, wie über das ihrige? Müsste eure Liebe sich nicht in Hass verkehren? – O! Eher würden die Sterne vom Himmel fallen und die Sonne verdunkelt werden vom Monde. Dass sie erstanden wäre! Dass sie wieder an meinem Busen ruhte! Wie bald würden wir vergessen, dass Tod und Zeit zwischen uns getreten sind. – Wahn, nichts als Wahn, aus dem gärenden Blute aufgestiegen gleich dem Weindunst in das Haupt. Ich wollte dich nicht in Versuchung führen und sie dir wiedergeben; du würdest bald fühlen, dass ich wahr geredet. Mir wiedergeben?, rief Walter und stürzte zu des Zauberers Füßen, O! Wenn du das vermagst und in der Brust ein Herz dir schlägt, so lass dich mein Flehen, lass dich meine heißen Tränen rühren; gib mir meine einzige Erdenliebe, das Licht meines Lebens zurück: Du wirst dein Werk einst segnen und sehen, es war ein gutes Werk. Ein gutes Werk?, sprach höhnisch lächelnd der Zauberer; Für mich ist nichts gut und nichts böse, denn mein Wille ist ewig einer; nur ihr kennt das Böse, weil ihr wollt, was ihr nicht wollt. Ich kann sie dir wiederschenken; aber überlege es wohl mit deinem Herzen, ob es dir frommen möchte, und welch’ eine Kluft befestigt ist zwischen Leben und Tod, über die meine Gewalt zwar eine Brücke bauen, die sie aber nicht ausfüllen kann. Walter wollte reden und mit neuen Bitten den Mächtigen bestürmen; der aber sagte: Schweig! Bedenke! Und kehre wieder morgen um Mitternacht; doch ich warne dich, lass die Toten ruh’n. Dies gesagt, verschwand er in die Schatten der Nacht. Trunken von der neuen Hoffnung, fand Walter keinen Schlaf auf seinem Lager; unerschöpflich in reizenden Bildern, breitete die Fantasie das schimmernde Gewebe seiner Zukunft vor ihm aus und sein Auge, von Freudentränen feucht, irrte darauf vom entzückenden zum entzückenderen Anblick. Den Tag über schweifte er in den Wäldern umher, damit keine Erinnerung an sein jüngst vergangenes Leben den seligen Gedanken störte, dass er sie wiedersehen, sie in seine Arme schließen, bei Tage wieder im Lichte ihres Auges wandeln, das Nachts wieder an ihrem Busen ruhen werde; und da dieser einzige Gedanke sein ganzes Wesen erfüllte, wie hätte ein Zweifel daneben aufkeimen, wie des Alten Warnung Raum gewinnen sollen in seinem Geiste?
    Kaum verkündet ihm der im Osten schimmernde Skorpion [13] , dass die Mitternacht sich nahe, so eilte er zu dem Totenacker zurück. Der Zauberer stand schon an Brunhildens Grabe. Hast du überlegt?, fragte er den Kommenden. O, gib mir die Herrliche zurück!, rief Walter voll heißer Leidenschaft; säume nicht mit deiner Wohltat! Ich könnte sterben in dieser Nacht und hätte sie nicht wiedergeseh’n. Wohl, sprach der Alte, Bedenke und kehre morgen wieder um Mitternacht; aber ich warne dich, lass die Toten ruh’n. Verzweifelnd vor Ungeduld wollte sich Walter zu seinen Füßen werfen und ihn flehend zwingen, jetzt den zum Schmerz gesteigerten Wunsch zu erfüllen; aber der Zauberer war schon seinem Auge entschwunden. Bis der Morgen graute, lag er noch, heftiger, wilder, denn jemals klagend, an der Ersehnten Grabe; während des Tages, der ihm endlos schien, irrte er umher, zwecklos, flüchtig, in sich gekehrt, wie der

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