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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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schon im Arme der Verwesung lag? Bis hierher fände ich nur Schonung, in seinem Interesse und in dem Ihrigen statt. Aber nun kommen wir zu dem Punkt, der dann zu berücksichtigen wäre. Erwiesene Erfahrung ist, dass der erwachte Scheintote den Schmelz der Wangen, die Regsamkeit der Glieder, der Jugend Kraft in seinem Grabe zurücklässt. Er entsprang zwar dem unbequemen Kerker, allein der eigennützige Tod, der zu frühzeitig zutappte und dadurch für jetzt seine Beute verfehlte, lässt sie ungepfändet nicht aus den Händen. Ungestraft macht man seine Bekanntschaft nicht und ein langwieriges Siechtum befällt die geschwächten Glieder, um sie nicht mehr entrinnen sollen. Welche Vernünftige wird eines Solchen Gattin? Die Erbin eines verzehrenden Hinwelkens? Das Opfer des Unglücklichen, der die trüben Lebenstage, die er dem Kirchhof mühsam abgerungen hat, in der Jugendfülle eines lieblichen Weibes verschwelgen will, gleichgültig, ob er des Todes Keim in ihr frisches Dasein pflanze?«
    »Das wäre fürchterlich«, seufzte Florentine, ließ die Arbeit auf den Schoß sinken und starrte vor sich hin.
    »Weg mit diesem Ernst«, scherzte Antonie, ihr das Köpfchen in die Höhe richtend. »Sie haben das nicht zu befürchten. Sie kennen del Cane; er ist ein Ehrenmann, das Gerücht eine Lüge. Er hätte Ihnen sein merkwürdiges Schicksal erzählt, Ihrer Hand entsagt und sein vortreffliches Herz würde sicher, um vergänglicher Lust willen, so schwere Verantwortlichkeit nicht auf sich laden. Doch horch! Hören Sie nicht die Klingel des Hauses? O gewiss ist es die alte Trude. Erheitern Sie sich. Hat sie in meiner Angelegenheit das Orakel befragt, so soll sie uns ein paar Stündchen mit Kartenkünsten und Taschenspielerstücken kürzen. Ihre Horoskope sind untrüglich, ihr Blick in die Zukunft unfehlbar, aber im Übrigen ist sie eine tausendkünstlerische Gauklerin.«
    Die Zofe öffnete der Wahrsagerin die Türe. Trude schlich demütig herein, ihren Apparat unter dem Arme. Antonie bewillkommte sie mit dem scheinbaren Übergewicht, das ein höherer Stand über den Niederen verleiht, mit dem vornehmen Wesen, welches die Damen so gerne annehmen, während sie ihre Vernunft abergläubischen Ränken gefangen geben. Trude machte nicht viel Worte, schmiegte sich, neigte sich tief vor der Gönnerin, wie vor der Frau vom Hause, die nur ein leichtes Augenwinken an die frühere Bekanntschaft erinnerte, bat um Lichter, setzte sich, kramte Karten und Spiegel auf dem Tischchen aus und fragte süßlich und geheimnisvoll nach dem werten Begehren.
    Florentine wollte sich entfernen, Antonie aber behauptete, kein Geheimnis vor ihr haben zu wollen, führte sie zu ihrem Sitze zurück, verriegelte die Tür und setzte nun der klugen Frau ihr Begehren auseinander.
    Trude mischte kunstfertig die bunten Blätter, legte, berechnete sie, konsultierte den Spiegel und in dieser Viertelstunde hatte Antonie den Trost, zu wissen, dass ihr Traum nicht Leid, sondern Freude bedeute und dass der geliebte Stiefbruder, nachdem er beinahe Schiffbruch gelitten und tüchtig nass geworden, in Madras glücklich ans Land gestiegen sei; dass ihr deshalb ein froher Brief zustehe mit vielen Geschenken und eine große Reise in Gesellschaft eines artigen reichen Herrn. Gevatterschaft, Heirat und gesunde Kindleins ließ die freigiebige Spiegelseherin im Hintergrunde des Gemäldes aufdämmern und erbot sich, die wirren Bilder mehr ins Gesicht zu zaubern, aber Antonie, zufrieden mit der willkommenen Nachricht, verbat sich fernere Deutungen und drückte das goldene Siegel auf den Mund der Begeisterten, welche Miene machte, zusammenzuräumen und das Zimmer zu verlassen. –
    »Liebe Baronin!«, fragte Antonie lächelnd, »wollen Sie nicht auch das Orakel zurate ziehen?«
    Florentine verneinte hastig.
    Antonie drang in sie; die Baronin blieb unerschütterlich auf ihrer Weigerung, sosehr ihr das Herz pochte in neugierigem Sehnen, geweckt durch Antonies Warnungen und das mysteriöse Treiben der alten Prophetin. Mutter Trude packte indessen kaltblütig zusammen und sprach: »Die Zukunft will sich nicht aufdringen lassen. Sollte die gnädige Frau einmal das Bedürfnis fühlen, sich mir anzuvertrauen, so steht meine Kunst zu Diensten. Leben Sie wohl, meine schönen Damen.«
    »So bleibt doch, eigensinnige Trude!«, rief ihr Antonie scherzend zu, »Bleibt doch! Und Sie, liebe Florentine, erlauben mir doch, dass ich ihr eine Frage vorlegen darf? – Die natürlichste, leichteste von der

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