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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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bewusstlose Gebieterin und schlich durch die dunklen Gänge nach seinen abgelegenen Gemächern.
    * * *

    Del Canes Braut verlebte eine schreckliche Nacht. Die Wahnsinnsgebilde, die ihr der unglückliche Eschen aus seinem verbrannten Gehirn gespendet hatte, waren für sie in die Wirklichkeit getreten, bis das helle Morgenlicht die Nachtgeburten verscheuchte und ruhige Besinnung in der Leidenden aufkeimen ließ. Die Begebenheit des verwichenen Abends schien ihr ein böser Traum gewesen zu sein und sie vermochte es, über sich, über die törichte Gespensterseherei ihres Bruders zu lächeln, wenn diese gleich einen scharfen Widerhaken in ihrer Brust zurückgelassen hatte. Denn sooft sie an del Cane dachte, an den, den sie mit voller Seele liebte, beschlich sie ein leiser Schauer, und sie wusste es Dank, dass er, seinem Wort getreu, für heute ferne blieb. Auch ihrem Bruder ließ sie ihr Gemach verschließen und verlebte den heiteren Tag in der Gesellschaft ihres Sohnes. Die wiederkehrende Dämmerung wollte zwar die bange Scheu von gestern in ihr Herz zurückbringen, sie widerstand aber dem peinlichen Gefühl, so gut sie’s vermochte, ließ die Zimmer sorgfältig erhellen und nahm mit Freuden das Fräulein von Maltingen an, das sich so eben ansagen ließ. Das Bedürfnis der Zerstreuung machte sie zuvorkommender gegen Antonie, als sie sonst zu sein pflegte. Der Empfang war herzlich, die Erwiderung desselben die freundlichste.
    »Ich komme, meine beste Baronesse«, eröffnete das Fräulein das Gespräch, »den Abend bei Ihnen zuzubringen, wenn ich nicht störe.«
    Florentine beteuerte, sie komme zur gelegenen Stunde.
    »Ich dachte es auch«, versetzte Antonie, »denn der Zufall ließ mich erfahren, dass Ihr Paladin, Signor del Cane, heute mit dem Frühesten nach dem Edelsitze reiste, den er vor Kurzem an sich gebracht hat. Der Gute eilte hin, um daselbst alles zum Empfang der liebenswürdigen Gattin vorzubereiten, die er in Kurzem in sein Hausparadies einführen wird. Sehnenden Bräuten die bleierne Zeit tragen helfen, ist der Frauen Pflicht. Sie zu erfüllen, bin ich hier.«
    Florentine dankte mit halb verlegenem Tone.
    »Ich sehe trübe Wolken auf dieser reizenden Stirne?«, fuhr Antonie schmeichelnd fort, »das schmerzt mich, und fast bereue ich die Eigenmächtigkeit, mit der ich mir erlaubte, in Ihrem Hause, meine Beste, ein Rendez-vous zu geben, das Ihnen wahrscheinlich in dieser Stimmung lästig fallen wird.
    »Ein Rendez-vous?«, fragte Florentine verwundert.
    »So ist’s, liebe Hersfeld«, antwortete scherzend das Fräulein. »Ich rechne dabei im Voraus auf Ihre freundschaftliche Erlaubnis.«
    »Ich verstehe nicht«, sprach die Baronin verlegener.
    »Beruhigen Sie sich, meine liebe kleine Lukretia [35] «, lächelte die Hofdame und küsste ihr schmeichelnd die Fingerspitzen. – »Das Stelldichein gilt keinem Adonis, keinem Seladon [36] , kein männlicher Fuß wird dieses geschmackvolle Boudoir entweihen. Ich erwarte hier eine der weisesten und respektabelsten unseres Geschlechts.«
    »Eine Dame also?«, fragte Florentine aufatmend. –
    »Nicht so eigentlich eine Dame …«, sprach jene neckend, »obschon sie ihrer manche zu ihren Füßen sah; eine Kassandra … kurz, die alte Mutter Trude aus der Neustadt.« –
    »Wie?«, seufzte die Baronin erschrocken. »Die? … Die Wahrsagerin?«
    »Ja, ja, dieselbe. Sie ist alles, was Sie wollen. Sie staunen. Hören Sie mich an. – Ein Stiefbruder, der sein Glück und Leben den unbeständigen Wellen anvertraut hat und nach Ostindien schwimmt, ist mir verwichene Nacht im Traume erschienen. – Hager, von Wasser triefend, mit eingefallenen Wangen und Augen. – Ich liebe den wilden Menschen wie mich selbst, und dieses Traumgesicht hat mir demnach keine geringe Angst gemacht. Frau Trude soll mir sagen, wie es um den guten Bruder steht. Ich habe unbegrenztes Vertrauen zu Frau Truden, denn ich könnte Beispiele anführen, wo ihre Prophezeiungen eintrafen, ihre Angaben sich bestätigten, schienen sie auch noch so wundersam und abenteuerlich. Wie aber die Tausendkünstlerin sprechen? Sie wohnt weit. Man geht gern unbegleitet auf solchen Wegen; und eine Dame … allein … im Dunkeln, in dem unangenehmen Märzschnee wandernd … das geht nun einmal nicht. In meinem Hause kann ich die Ehrwürdige ebenfalls nicht empfangen, denn da ist meine alte Tante, meine strenge Hüterin, die dem gewöhnlichen Altweibercharakter schnurgrad entgegen, alles Wunderliche und Seltsame, das nicht

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