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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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resignierte sich bebend, wollte ihr Ohr verschließen und horchte um so ängstlicher auf des Bruders unheimliche Rede.
    »Ich habe bedauert, dass ich nicht lachen kann«, fuhr dieser fort. »Du siehst, ich bleibe in dem Geleise und meine Gedanken sind nicht verwirrt, wie jener dich wohl überreden möchte. Wenn ich lachen könnte über die närrischen Gesichte [34] , die ich zuweilen habe, … es wäre gut; denn brütet man die wunderlichen Eier aus, wie ich es tue, so picken sich Basilisken daraus zutage. Du weißt es, ohne zu der Fakultät zu gehören, dass jeder Mensch seinen Totenschädel und sein Beingerippe in sich trägt. Nun höre, … wie sonderbar die Fantasie uns mitspielen kann. Diese Gerippe sehe ich mit eigenen Augen.«
    »Bruder!«, rief Florentine entsetzt und versuchte umsonst ihre Hand aus der seinigen zu reißen.
    »Es ist närrisch? Nicht wahr?«, fragte der Herr von Eschen, seinen Arm um ihren Leib schlagend. »Zittere nicht, mein Schwesterchen. Es ist nur lebhafte Einbildungskraft, weiter nichts. Darum vermeide ich alle Gesellschaften, denn wo ich eintrete, wandeln Skelette um mich. Im Ballsaale drehen sie sich von bunten Lappen umflattert – im Spielzimmer wechseln sie mit knöchernen Fingern die Karten. Trete ich in die Kirche, so paukt ein predigendes Gerippe die Kanzel. Besuche ich die Parade, so schwingen dürre Knochenarme die glänzenden Waffen – marschieren klappernde Beine nach dem Takte der Trommel. Das Gräbervolk läuft in den verschiedensten Verrenkungen über die Straßen. Begegnet mir ein Freund und umarmt mich im fröhlichen Ungestüm, … seine Maske täuscht mich nicht. Kaum hat er den Hut gezogen, so gähnt mir schon das weite Maul des Schädels den hohlen: Guten Morgen! zu. Auch du, mein Schwesterchen … dein Kind …«
    »Um der ewigen Barmherzigkeit willen! Lass mich!«, stammelte Florentine. »Du erkältest mir das Blut in den Adern!« –
    Stumm hielt sie der Unerbittliche zurück.
    »Lass mich nur die Schelle ziehen!«, bat sie ferner. »Es soll Licht gebracht werden.« –
    »Wozu?«, fragte Eschen kalt. »Mir ist wohl in deiner Gesellschaft und der Mond tritt soeben aus den Wolken. Wie er dich so schön umstrahlt, mein Florentinchen! Er windet eine silberne Krone um deinen kreideweißen Scheitel, betrachtet dich lüstern, wie ein Bräutigam die Braut, und du bist schon eines Anderen. Ja! Dieser Andere …«
    »O schweige wenigstens von ihm«, flehte Florentine in banger Ahnung.
    »Wenn ich nur könnte«, versetzte Eschen kopfschüttelnd, »aber dieser Andere ist nicht wie ich, wie du, wie alle Übrigen.«
    »Besser als wir«, fiel Florentine ein.
    »Er wird dich verderben«, fuhr er mit weissagendem Tone fort. »In jedem Sterblichen, in mir selbst erkenne ich das Grundsystem des Baues unserer Maschine. In deinem Angelo nicht. Der Fürchterliche bleibt stets ein schneebleiches Phantom, sosehr ich mich mühe, den Blick der Fantasie durch seine Hülle zu bohren. Dieses Gespenst gehört nicht zum Leben. Das Seine ist schon der Verwesung verfallen. Er hat es ihr nur abgeborgt, um Unglückliche hinzuopfern. Ich habe vermutet, gezweifelt … die Wahrheit siegt. Es war heute einer bei mir und erzählte von einem Fürsten, der diesen del Cane vor Jahren sterben, beerdigt sah. Täuschung, Gaukelspiel war nicht möglich. Scheintod nicht, denn der Fürst hielt sich wochenlang nachher in derselben Stadt auf und del Cane war tot und blieb begraben. Hier findet er ihn wieder, ihn, denselben, aussehend, wie er im Sarge lag, gibt Kennzeichen von ihm an, die sich alle bestätigt finden. Was schließt man aus allen dem? Dass del Cane zu einer Gattung von Wesen gehören muss, die die Philosophie leugnet, weil sie ihr Dasein nicht begreift. Aber unsere blöden Augen begreifen nicht all das Wunderbare, das sich um uns her begibt. – Hast du noch nie gehört von jenen Wesen, die in toten Körpern aus dem Grabe steigen, ein erkünsteltes Leben heucheln, ihre Leichenart aber dennoch nicht ganz verhehlen können, schöne üppig geformte Weiber berücken, in’s Hochzeitbette zerren und ihnen das Herzblut aus dem Busen saugen, um ihre verfluchte Existenz zu fristen und neue Opfer schlachten zu können? – Du seufzt? Du sinkst an meine Brust … Du antwortest nicht? … Wirst kalt wie Eis?« –
    Das Mondlicht fiel auf Florentines geschlossene Augenlider; der sinnverwirrende Bruder ließ die Ohnmächtige aus seinen Armen gleiten, zog die Klingel, übergab den herbeieilenden Zofen die

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