- Lasst die Toten ruhen
Welt«, setzte sie halblaut hinzu, um von der Alten nicht verstanden zu werden, »eine Frage, die Sie im Geringsten nicht kompromittiert.« –
Florentine zögerte unentschlossen.
»Bitte! Bitte!«, flehte Antonie lächelnd. »Schlagen Sie mir diese Bitte ab?«
»Tun Sie, was Sie verantworten können«, antwortete endlich Florentine, halb gezwungen, halb überredet vom eigenen Wunderglauben. –
»So setzt Euch noch einmal, Trude«, sprach das Fräulein zu der Alten und ließ sich an Florentines Seite nieder. »Bleibt nur sitzen wie jetzt.«
»Das würde sich nicht schicken«, versetzte die Alte. »Ich drehe ja der gnädigen Herrschaft den Rücken zu.«
»Tut nichts«, wiederholte Antonie und sagte halblaut zu der Nachbarin: »Die Hexe könnte aus Ihrem Gesichte studieren, was ihr beliebt.«
»Ich bin fertig«, sagte Trude. »Ihre Frage?«
»Ist das, was der Dame hier neben mir gestern Abend versichert wurde, wahr oder nicht?« –
Florentines Händedruck lohnte die Diskretion der Fragenden.
Trude räusperte sich und versetzte: »Ich muss Ihnen bemerken, meine gnädigen Fräuleins, dass ich aus meinem Spiegel und aus dem Glase Wasser, das ich mir erbitte, nicht Ja, nicht Nein lesen kann. Ich muss erwarten, welche Bilder mir mein Spiritus familiaris im Spiegel und im Wasserkristall zeigen wird, und was ich sehe, ist dann die Antwort auf Ihre Frage. Sie, als Wissende derselben, mögen dann auslegen, ob sie bejaht oder verneint. Mir, der Unwissenden, wäre das unmöglich.« –
»Das ist auch einzig unsere Sache«, erwiderte Antonie. »Nicht wahr, Baronesse?«
Florentine bejahte und Trude forderte ihren Taufnamen von ihrer eigenen Hand auf ein Zettelchen geschrieben nebst einem Ring von ihrem Finger. Die Baronin gab beides und schmiegte sich mit ungläubig neckendem Gesichte, aber mit erwartungsvoller Seele, neben Antonie in das Sofa. Während die Alte das Zettelchen an der Kerze verbrannte, mit der Asche den Spiegel rieb und unter Beschwörungsformeln den Ring in die Wasserschale warf, flüsterte das Fräulein von Maltingen der Baronin ins Ohr: »Freuen Sie sich, meine Freundin, die alte Unke zieht heute die fröhlichsten Register. Sie ließ meinen Stiefbruder im Port landen und wird Ihre Frage mit einem deutlichen Nein, in mimischen Darstellungen ausgedrückt, beantworten.« – Florentine bemühte sich, den Scherz zu belächeln, aber wie weit war ihrem eigenen bangenden Gemüt der Scherz!
»Das Alter hat seine Vorrechte«, begann nach langer Pause die emsig schauende und beobachtete Trude in weissagendem Ton: »Die Zeit hat auch die Ihrigen und darum zeige sich uns zuerst auf dem Grunde dieses hellen Wassers die in das Meer der Jahre hingeflossene Vergangenheit. Der Ring von edlem Metalle auf dem Boden dieser Schale, geweiht durch meinen Spruch, zwingt ihre Bilder in seinen Raum. Sie gestalten sich, werden deutlich …«
»Was fehlt Ihr, Trude?«, fragte Antonie laut, Florentine leise. –
»Lustiges Getümmel in einem Gasthause«, antwortete die Alte in eintönigen abgerissenen Sätzen. »Ein Spazierritt; ein schöner Mann zu Pferde … ein Krankenbette … ein Friedhof … unter hohen Pappeln ein offenes Grab … im Hintergrunde schwankt ein Leichenzug …«
Florentine hielt den Atem inne und lauschte; Antonie drückte ihr beruhigend die Hand.
»Er kömmt heran«, fuhr die Alte wie oben fort. »Der Sarg rollt in die Gruft … Alles verschwindet … das Bild verdunkelt …«
»Du bist unerträglich langsam, Alte«, drängte das Fräulein. »Eile!«
»Es wird wieder lichter«, sprach Trude weiter. »Der Grabhügel lockert sich auf … es spaltet sich der Schlund … der schöne junge Mann im Leichengewande … blass wie der Tod … entsteigt der Gruft …«
»Genug! Genug!«, rief Antonie, denn der Baronin Hand erstarrte in der ihrigen.
»Soll ich im Spiegel die Zukunft lesen?«, fragte die Alte mit halber Wendung nach den Frauen. Antonie verneinte heftig, aber Florentine, ihr brechendes Herz mit Gewalt zusammenfassend, verlangte es. – »Nicht doch!«, redete ihr das Fräulein begütigend zu. – »Ich will es, will mein Schicksal wissen!«, wiederholte die Ärmste und im Fieberschauer klapperten die Zähne. –
»Ich deute es Ihnen«, sprach die Alte und nahm den Spiegel. »Doch vergessen Sie nicht, dass Gott und unser freier Wille die Zukunft lenken können.« –
»In Gottes Namen denn«, versetzte Antonie, »so sprecht: Was seht Ihr?«
»Eine fröhliche Hochzeit«, lautete es aus der
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