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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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erwächst. Der bekannteste Roman dürfte der 1870 veröffentlichte »Venus im Pelz« sein, der sich mit dem zweiten Thema befasst; er war in der BRD aufgrund der masochistischen Haltung des Protagonisten für einige Zeit indiziert worden. Aufgrund dieser Eigenarten nahm Sacher-Masoch eine ambivalente Stellung ein; so waren seine Werke bei seinen Zeitgenossen zum Teil sehr beliebt, doch er wurde dafür auch scharf kritisiert. Seine Bekanntheit verflog allerdings rasch: Schon wenige Jahre vor seinem Tod waren seine Werke weitgehend in Vergessenheit geraten. Noch lange lebte der schale Ruf eines verdorbenen Lebemanns nach, und auch seine Werke wurden vielfach wegen ihrer »pervertierten Erotik« von Literaturwissenschaftlern abgetan. Erst als in jüngerer Zeit der Sadomasochismus enttabuisiert wurde, entdeckte auch die Öffentlichkeit den Schriftsteller wieder – denn seit der Psychiater Richard von Krafft-Ebing den von Sacher-Masochs Namen abgeleiteten Begriff »Masochismus« prägte, ist er bei den an jenen Praktiken Interessierten nie ganz in Vergessenheit geraten.
    Eine Kuriosität am Rande: Lemberg liegt heute in der Ukraine – war Sacher-Masoch also Ukrainer? Sacher-Masochs deutscher Vater engagierte sich in der zu seiner Zeit polnischen Stadt für die polnische Sache und seine Mutter war eine »Kleinrussin« – heutzutage würde man sie zu den Ukrainern zählen. Sacher-Masoch selbst hatte die österreichische Staatsbürgerschaft, doch erst in seiner Lebzeit setzte sich die kleindeutsche Lösung durch. Kein Wunder, dass Polen, Ukrainer, Österreicher und Deutsche die Erfindung des Masochismus jeweils für sich reklamieren.
    Die folgende Erzählung »Die Toten sind unersättlich« wurde zuerst 1875 in der ersten Auflage von »Galizische Geschichten« veröffentlicht. Zwar wurde sie aus späteren Auflagen entfernt, dafür aber gelegentlich in anderen Sammlungen nachgedruckt. Von den Kritikern wurde sie trotzdem kaum rezipiert.

Die Toten sind unersättlich

— Leopold Ritter von Sacher-Masoch
Du hast mich beschworen aus dem Grab
Durch deinen Zauberwillen,
Belebtest mich mit Wollustglut,
Jetzt kannst du die Glut nicht stillen.

Press deinen Mund an meinen Mund,
Der Menschen Odem ist göttlich!
Ich trinke deine Seele aus,
Die Toten sind unersättlich.
Heinrich Heine, Helena
      
    Bei uns lernt man sich so leicht kennen, bei den Bauern haben die Türen keine Schlösser und die Hütten noch häufiger keine Türen und die Tore der Gutsbesitzer stehen auch noch einem jeden offen. Wenn ein Gast zu Abend kommt, gibt es keine betrübten oder ängstlichen Gesichter wie im gemütlichen Deutschland, und es fällt den Familienmitgliedern nicht ein, einzeln in die Küche zu schleichen und dort heimlich ihr Nachtmahl zu verzehren, und zu den Feiertagen, wenn Verwandte und Freunde sich von weit her zusammenfinden, da werden Rinder, Kälber und Schweine, Gänse und Enten geschlachtet und der Wein fließt in Strömen wie in homerischen Zeiten.
    Ich kam also zu der Familie Bardoßoski, wie eben ein Edelmann in das Haus des andern kommt, ohne viel Umstände, und kam bald jeden Abend hin. Ihr Herrenhaus lag auf einem kleinen Hügel, und unmittelbar hinter demselben stiegen die grünen Vorberge der Karpaten empor. Die Familie hatte sehr viel Angenehmes an sich, das Beste war aber, dass die beiden Töchter des Hauses bereits ihre Verehrer besaßen, ja die jüngere sogar in aller Form verlobt war, man sich also ungezwungen unterhalten und sogar, was Polinnen gegenüber unerlässlich ist, ein wenig den Hof machen konnte, ohne gleich für einen Bewerber angesehen zu werden.
    Herr Bardoßoski war ein echter Landedelmann, schlicht fromm und gastlich, stets heiter, aber nicht ohne jene stille Würde, die kein äußeres Mittel braucht, um sich zur Geltung zu bringen. Seine Frau, eine kleine, üppige, noch immer hübsche Brünette, beherrschte ihn ebenso vollkommen, wie die Königin Maria Kasimira den großen Sobieski beherrscht hat, aber es gab Dinge, in denen der alte Herr nicht zu scherzen beliebte, dann genügte ein Drehen seines langen Schnurrbarts oder ein hastig hervorgestoßenes blaues Wölkchen aus seiner Pfeife, das rasch zu einer respektablen Wolke anwuchs und ihn gleich dem Göttervater Zeus einhüllte, und niemand wagte mehr, zu widersprechen. Ich habe ihn nie ohne diese lange türkische Pfeife mit dem Kopfe aus rotem Ton und dem Bernsteinspitzchen gesehen, die dem Fremden bei uns zu sagen scheint: Du bist nicht mehr in

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