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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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Europa, mein Freund, hier ist jenes Morgenland, aus dem deine ganze Weisheit kommt, aus dessen unversiegbaren Quellen alle deine Denker und Poeten geschöpft haben. Bardoßoski hatte 1837 unter Chlopicki gefochten und war im Jahre 1848 unter Bem bei Schäßburg verwundet worden. Im Jahre 1863 hatte er seinen einzigen Sohn zu den Insurgenten geschickt und durch den mörderischen Stoß einer Kosakenlanze verloren; von diesem Sohne war nie die Rede, aber sein Bild, von einem welken Kranz und einem verstaubten Trauerflor umgeben, hing über dem Bette des Alten zwischen zwei gekreuzten krummen Säbeln.
    Von den beiden Fräuleins war die Ältere, Kordula, das, was man interessant nennt, hoch und gut gewachsen, mit prachtvollem, dunklem Haar, schönen Zähnen, grauen Augen, aus denen eine durchdringende Klugheit sprach, und einem Gesichte, in dem sowohl um die kleine Stumpfnase als die aufgeworfenen Lippen eine unbeugsame Festigkeit lag; die Jüngere, Aniela, dagegen eine jener unendlich weißen, rosenwangigen blonden Schönheiten, welche immer sehr ermüdet scheinen, deren blaue Augen auch im Wachen träumen und deren tiefes Atemholen wie ein Seufzer klingt. Diese war es, welche bereits den Verlobungsring am Finger trug.
    Ich lernte auch die beiden jungen Männer kennen, welche die Herzen dieser so verschiedenen Schwestern erobert hatten. Der Verehrer der älteren war ein Herr Husezki, der in dem nahen Städtchen das Amt eines Adjunkten am Gericht bekleidete. Er zeigte jenen Ernst und wissenschaftlichen Eifer, welcher die jüngere Generation bei uns auszeichnet, war französisch gekleidet, trug Brillen und zupfte stets an seinen schneeweißen Manschetten.
    Der Bräutigam der schönen Aniela war ein Gutsherr aus der Nachbarschaft und nannte sich Manwed Weroski, ein hübscher junger Mann mit blitzenden Zähnen unter einem kleinen, schwarzen Schnurrbart, kurzem, gelocktem, dunklem Haar, schmachtenden Augen, jederzeit in weißen Pantalons, welche in hohen Stiefeln staken, und einem Schnürrock, alles von schwarzer Farbe. Er rauchte Zigarren, liebte es, das Gespräch auf Literatur zu bringen, und war imstande, hundert Verse aus dem »Pan Tadeusz« oder »Konrad Wallenrod« des Mickiewicz [53] auswendig herzusagen. Sein Lieblingsstück war die Geschichte von Domeyko und Doweyko, und er verstand es, den Zweikampf derselben über der Bärenhaut so dramatisch vorzutragen, dass er sogar dem alten Herrn jedes Mal ein Lächeln abnötigte, das sich rührend kindlich in seinen weißen Schnurrbart stahl.
    Noch war ein dritter junger Herr da, der die Gewohnheit hatte, immer zu spät zu kommen, und diese üble Gewohnheit war sein Fatum, denn er war auch bei Pana [54] Aniela zu spät gekommen und begnügte sich jetzt damit, sie unausgesetzt anzusehen und, sooft sie nur eine Bewegung machte, aufzuspringen und alle nur möglichen Gegenstände herbeizuschleppen, und so kam es, obwohl er sich einbildete, ihre Wünsche zu erraten, dass er einen Fußschemel brachte, wenn sie eine Schere verlangte, und den beim Fell emporgehobenen kleinen Wachtelhund eine Luftfahrt machen ließ, wenn ihr feuchter Blick ihrem Taschentuch galt. Er hieß Maurizi Konopka, hatte ein Nachbargut gepachtet, auf dem er mit Maschinen arbeitete und überhaupt in allem genau nach dem Buche vorging zum Erstaunen der Bauern, und erschien nie anders als im Frack, weißer Weste, Glacéhandschuhen, durchbrochenen Strümpfen und Ballschuhen. Da er stets erst ankam, wenn der ganze Kreis versammelt war, und sich überdies alle Mühe gab, gleich einem Gespenste unhörbar einherzuschreiten, so erblickte man ihn gewöhnlich erst, wenn er auf seinen leichten Sohlen mitten im Zimmer stand, und da er es für unanständig hielt, durch einen lauten Gruß oder ein Räuspern auf sich aufmerksam zu machen, geschah dies so plötzlich, dass in der Regel alle zusammenschraken, mit Ausnahme des alten Helden, der höchstens für einen Augenblick die Pfeife aus dem Munde nahm, was aber freilich bei ihm schon viel sagen wollte.
    Maurizi war ein ausnehmend hübsches Milchgesicht jener Art, die von reifen, erfahrenen Schönheiten bevorzugt wird, aber sehr wenig geeignet, das Ideal eines Mädchentraumes vorzustellen, daher ihm auch das herbe Los zuteilwurde, Abend für Abend – und die galizischen Winterabende sind lang – mit Herrn Bardoßoski und dem ernsthaften Adjunkten Tarock [55] zu spielen, während wir anderen mit den Mädchen plauderten.
    Anielas Verlobter gewann von Anfang an meine Sympathien

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