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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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Zeiten reiten sie auf einem schwarzen Kater nach Kiew und halten, über der heiligen Stadt schwebend, hoch in den Lüften ihre Versammlungen. Ja, hier bei uns nehmen die Sterne, die zur Erde fallen, Menschengestalt an und werden zu Vampiren, und es gibt Menschen mit dem bösen Blick, und nachts irren die Seelen der Kinder umher und verlangen nach der Taufe. Weshalb sollte es hier nicht auch allerlei Spuk geben und ein schönes Weib aus kaltem Marmor, dessen weiße Glieder zur Mitternachtsstunde das warme Blut des Lebens durchströmt?«
    »Was für ein Fantast!«, rief Herr Husezki. »Nun möchte ich aber selbst wissen, was es mit dem alten Schlosse eigentlich auf sich hat.«
    »Die Wahrheit kann ich euch sagen, ihr jungen Leute«, begann der alte Herr nach einer kleinen Pause, während der Pana Kordula den Samowar mit roter Kohlenglut gefüllt und Anielas kleine, rosig angehauchte Hände auf dem Piano ein paar Akkorde einer melancholischen Volksmelodie gegriffen hatten. Er begann damit, sich in blaue Wolken einzuhüllen.
    »Das Wahre an der Sache ist«, fuhr er fort, »dass in der Tat in dem großen Saale des Schlosses ein herrliches Marmorbild zu sehen ist, das ein schönes Weib darstellt, ein Wunder von einem Weibe. Einige behaupten, ein Vorfahr der Familie Tartakowski sei mit dem roten Kreuze auf der Brust nach Palästina gezogen, um das Heilige Grab zu befreien, und habe aus Byzanz ein Venusbild, von der Hand eines griechischen Künstlers gefertigt, mitgebracht. Andere erzählen, dass eine durch ihre Schönheit und durch ihre Laster berühmte Dame aus der Familie Tartakowski sich von einem italienischen Bildhauer in dieser Weise habe meißeln lassen, und zwar in einem Kostüme, das nicht der Mode unterliegt und das schon Eva im Paradiese getragen hat, notabene [59] vor dem Sündenfall. Dies soll zur Zeit des Benvenuto Cellini [60] geschehen sein, und die schöne Dame war die Starostin [61] Marina Tartakowska.«

»So ist es«, sagte plötzlich eine tiefsanfte Stimme, die aus der Unterwelt zu kommen schien.
    Alle fuhren zugleich von ihren Sitzen empor, Aniela stieß einen gellenden Schrei aus und schlug die Hände vor das Gesicht, Pana Kordula ließ eine Tasse fallen, welche wie eine Granate auf dem Boden explodierte, und der von einem Splitter getroffene kleine Wachtelhund begann, wütend zu bellen.
    »Ich bitte um Vergebung und falle den Herrschaften zu Füßen«, säuselte Maurizi Konopka, welcher wieder in seinen Tanzschuhen ungehört hereingeschwebt war und jetzt mitten in unserem Kreise stand. »Das lebensgroße Porträt«, fuhr er leise fort, »hängt in einem düstern getäfelten Zimmer des Schlosses, dessen Decke ein großes Gemälde, »Diana im Bade, den sie überraschenden Aktäon in einen Hirsch verwandelnd«, darstellt. Die Starostin ist in dunklen Samt gekleidet und hat eine polnische Mütze mit Reiherbusch auf. Ich habe das Bild gesehen, und die Starostin schien mich anzusehen, und mir war dabei zumute, als sollte meine Haut auf gut tartarisch über eine Trommel gespannt werden.«
    »Das mag sein«, fiel der Adjunkt ein, »in Krakau befinden sich vielerlei merkwürdige alte Akten, darunter auch mancher Prozess aus der Zeit der Starostin Marina, welcher von der Willkür dieser schönen Witwe zeugt, die auf Tartakow gleich einer unbeschränkten Monarchin residierte und gebot. Einmal war sie des Mordes angeklagt, und da dieser adliger Abkunft war, begab sich eine königliche Kommission zu ihr, aber schon der Anblick dieser berückenden Frau genügte, um die Richter zu entwaffnen, und die Justiz kehrte, von Amor mit einem Rosenzweige verjagt, unverrichteter Sache heim. Übrigens soll das Schloss jetzt so gut wie herrenlos sein.«
    »So«, sagte Pan Bardoßoski, indem er seine Bernsteinspitze erstaunt aus dem Munde nahm, »was wäre denn aus der Witwe des letzten Besitzers, der schönen Zoë Tartakowska geworden?«
    »Sie hat in der letzten Zeit in Paris gelebt«, erwiderte der Adjunkt, »aber ich habe vor Kurzem erst vernommen, dass sie gestorben sei.«
    »Schade«, murmelte der alte Herr. »Sie war eine Frau wie die Starostin Marina, nur etwas nach der Mode zugeschnitten, aber ein schönes Weib.«
    »Nun, nun, schwärme mir nur nicht zu sehr«, sprach Frau Bardoßoska.
    Einige Zeit sprach niemand, dann sprang Manwed plötzlich auf und rief: »Ich muss hin!«
    »Wohin?«
    »In das gespensterhafte Schloss.«
    »Was fällt Ihnen ein«, sagte Frau Bardoßoska, »es ist doch unheimlich, was man so

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