- Lasst die Toten ruhen
Spalten des Gebirges aschgraue Dünste empor wie der Rauch ausgeblasener Kerzen, die Sonne verschleiernd, und kamen mir rasch entgegen. In dieser feuchten, strömenden Nebelflut schien mein Pferd nicht zu gehen, sondern vorwärts zu schwimmen, und von Zeit zu Zeit kauerte sich eine sagenhafte Erscheinung, in undurchdringlichen Schleier gehüllt oder mit wallendem weißen Bart, in den Büschen am Feldrain nieder.
Doch es währte nicht zu lange, so wurde der Himmel zu durchsichtigem Alabaster, der sich mehr und mehr färbte und endlich einen glühenden Kreis zeigte, aus dem die Sonne triumphierend hervortrat. Die grauen Wogen ballten sich zu Wolken zusammen und wälzten sich über den Wald hinüber. Ein rosenfarbener Hauch schwebte um sie, Bäume und Sträucher waren mit einem Male mit Lichtperlen behängt und der Schnee hatte den weißen Glanz des Atlas. Die Berge zeigten zwischen dunklem Holz Stellen so grell und so weiß wie Kreide und jedes überragende Felsenhaupt war von einer leuchtenden Gloriole umstrahlt. Der Himmel trug eine blassgrüne Farbe, die sich nach und nach in das Blaue verlor, bis der reinste Azur mich überspannte und nur kleine weiße Wolken, wie wandernde Schwäne, durch denselben zogen.
Und da lag auch der graue zerbröckelte Felsen mit dem düsteren Schlosse vor mir. Ich ritt um denselben herum und fand einen sanften Abhang, über den sich ein verwilderter Park erstreckte, doch war auch hier keine Straße, nicht einmal ein Fußpfad zu entdecken. Mein Tier musste sich schnaubend selbst den Weg bahnen. So kam ich endlich zu einem großen Tore mit verrostetem Beschlage und sah mich vergebens nach einem Glockenzuge oder einem Türklopfer um. Zu beiden Seiten ragte die hohe, graue Mauer, auf deren breiter Zinne im Laufe der Jahrhunderte eine Art kleiner Garten entstanden war. Einzelne Wurzeln liefen die ganze Höhe der Mauer herab und verschlangen sich unten zu wunderlichen Bildungen. Über dem Tore war ein graues, vom Regen verwischtes Wappen.
Ich stand in den Steigbügeln auf und ließ ein lautes »Hurra« ertönen, doch ehe noch das Echo der nahen Felsen es zurückgegeben hatte, öffnete sich mit einem schauerlichen Seufzen in dem einen Flügel des großen Tores ein schmales Pförtchen und ein alter Mann erschien in demselben, der mich mit tiefer Reverenz, die Mütze in der Hand begrüßte. Ich habe seinesgleichen nie gesehen, wenn nicht etwa auf uralten Bildnissen oder auf dem Theater, wenn ein Stück aus der polnischen Geschichte dargestellt wurde. Er machte den Eindruck, als wäre eine der grauen, verwitterten Steingestalten aufgestanden, die auf den Marmorsärgen unserer vor Jahrhunderten verstorbenen Edlen mit gefalteten Händen liegen. Die ganze Gestalt des Alten war in einer Weise verfallen und schlotterig, wie wenn sie im nächsten Augenblick in Moder zerstäuben sollte; das verschrumpfte Gesicht mit den vergilbten Wangen glich einem ehrwürdigen Pergament, von zahllosen kleinen Runzeln wie von einer unleserlich gewordenen Schrift überzogen. Seine Tracht war die altpolnische, etwa aus der Zeit Johann Kasimirs [62] , wo der tartarische Schnitt den slawischen bereits vollständig verdrängt hatte. Er trug hohe faltenreiche Stiefel von Saffian, der einst grün gewesen sein mochte, über weiten Beinkleidern einen langen Kontusch [63] , dessen geschlitzte Ärmel auf dem Rücken zusammengeknüpft waren, einen breiten Metallgürtel, an einer starken Schnur hing ihm ein krummer Säbel um die Schultern – dies alles war fahlgrau und düster von Farbe. Auf seinem kahlen Kopfe stand ein Büschel Haare aufwärts, das der Luftzug leise bewegte, es war, als habe er nach der Mode jener Zeit sein Haupt glatt rasiert und trage die Tartarische Hordenlocke. Sein grauer Schnurrbart hing bis auf den Kontusch herab. Er verneigte sich nochmals sehr artig und zeremoniell.
»Du bist wohl erstaunt, einen Gast zu bekommen, was Alterchen?«, sagte ich so leichthin, als es mir gelingen wollte.
Er schüttelte das Haupt. »Ich habe Sie erwartet«, sagte er, und ein freundliches Lächeln zog über sein versteinertes Antlitz.
»Setze doch deine Mütze auf«, rief ich.
Er nickte, setzte die graue Czapeka auf das linke Ohr, öffnete das Tor und, nachdem ich hineingeritten war, schloss er es wieder und sperrte hinter mir zu. Der große Schlüssel sang weinerlich in dem rostigen Schlosse.
»Nun, willst du mir alle deine Schätze zeigen, Alterchen?«, begann ich, nachdem ich abgestiegen war und er den Zügel meines
Weitere Kostenlose Bücher