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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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geschmückt, über dem ein weißes Kreuz erglänzte und friedlose Tote in schleppenden Grabtüchern schwebten drohend dazwischen.
    Das Rad der Mühle stand versteinert, große Eissäulen stützten die Rinne, der silberne Sturz des Baches war erstarrt, und in ihm glühten Stauden und Halme in allen möglichen Farben gleich den Blumen aus Edelsteinen der Tausendundeinen Nacht.
    Und wenn weithin kein Dach, kein Baum, kein noch so kleiner Strauch zu sehen war, nur die stille Glanzflut des Mondes auf den weißen Wogen des Schnees, dann war es mir, als schwebe ich auf dem Zauberpferde hoch in den Lüften, über mir die Gestirne, unter mir die weißen, schimmernden Wolken.
    Es währte nicht lange, so kündigte die Erde wieder ihre Nähe an, die Lichter eines Dorfes guckten in der silbernen Dämmerung auf, eine Schmiede versendete Funken und eine rote Feuersäule stieg aus ihrem Rauchfang gegen den Himmel, schwere Hammerschläge pochten im melancholischen Takt durch die Nachtstille, und am Rain stand ein Brunnen, von einem Schneetuch überdeckt, dessen gefrorener Strahl seltsame Arabesken bildete. Hinter den Hütten stieg der Abhang des Gebirges, ein Tannenwald mit beschneiten Wipfeln, herab wie ein Kosakenheer auf schwarzen Pferden mit hohen, weißen Lammfellmützen und glänzenden Lanzen. Dort, wo die gelben Schafte des Mais’ stehen geblieben waren, ein beschneiter Acker, schimmerte es wie mondbeglänztes Schilf im hellen Spiegel eines Teiches.
    Eine Strecke weiter stand ein Kreuz am Wege und der Heiland war mit diamantenen Nägeln an dasselbe geschlagen und trug statt düsterer Dornen eine leuchtende Strahlenkrone.
    Und war bisher nichts Lebendiges zu spüren, so zeigte sich plötzlich auf der in Schnee gehüllten Wintersaat eine muntere Gesellschaft grauer Feldhasen, welche im hochzeitlichen Lichte des Mondes scherzte und liebelte; hier wühlten einige emsig den Schnee auf, um Nahrung zu finden, dort spielten andere und schrien gleich kleinen Kindern und schlugen sich mit den Vorderläufen, andere kamen mit leichten Sprüngen, setzten sich plötzlich auf, um mich anzusehen, legten die Löffel zurück und streckten sich ebenso schnell wieder lustig in die Höhe, wenn sie mich weiterreiten sahen. In der Ferne bellte heiser und verdrossen ein alter Fuchs.
    So erreichte ich Schloss Tartakow. Vor dem Tore schauerte mein Pferd, und wie der seltsame Alte ungerufen und ungebeten die schweren Flügel auflehnte, fiel es auf die Hinterhufe zurück und wollte nicht in den vom magischen Licht erfüllten Hof. Endlich gehorchte es den Sporen, aber nur zitternd und mit einem traurigen Schnauben. Als mich der Alte die breite Steintreppe hinaufführte, erhob sich ein eisiger Luftzug, die alte Linde rauschte wehmütig, tief unten sang schauerlich ein wilder Bergstrom, dessen selbst der Winter mit seinen eisigen Ketten nicht Herr werden konnte, und über mein Haupt weg zogen fabelhafte, herzzerreißende, traurig süße Töne.
    »Was ist das?«, fragte ich.
    »Es ist die Äolsharfe«, entgegnete der Alte, »die steht nun schon bei hundert Jahre auf dem Turm, soweit ich mich erinnere.«
    Wir traten in ein freundliches Zimmer mit grünen Vorhängen, das behaglich erwärmt war, im Kamin brannte frisches Fichtenholz und verbreitete einen angenehmen, narkotischen Geruch. Vor einem geblümten Sofa stand ein gedeckter Tisch. Ich bemerkte kostbares Porzellan und uraltes Silber, mit dem Wappen der Familie Tartakow verziert. Der seltsame Alte lud mich ein, Platz zu nehmen, setzte den Samowar auf und bediente mich mit der vollen Würde eines ergrauten Haushofmeisters. Ich nahm nur wenig, ich war zu sehr erregt. Der Zeiger auf der altertümlichen Wanduhr schien mir stillzustehen.
    Endlich nahte die zwölfte Stunde.
    »Es ist Zeit«, sagte ich.
    »Ja, es ist Zeit«, stimmte der Alte bei. Er nahm seinen Schlüsselbund vom Gürtel und begann aufzusperren, Türe um Türe, wir gingen wieder durch lange Gänge und endlose Zimmerreihen, nur das diesmal alles ein gespenstisches Leben gewann. Aus den schwarzen Visieren blitzten mich feindselige Augen an, die unheimlichen Gestalten in den goldenen Rahmen drohten, herauszutreten auf die verfallenen Teppiche, und sogar die alten Fahnen und die Vorhänge schienen sich zu regen und zu flüstern.
    Nachdem der Alte die mit Silber verzierte schwarze Türe eines großen Saales geöffnet hatte, den ich beim ersten Male nicht betreten hatte, sprach er: »Hier muss ich Sie allein lassen, mein Herr Wohltäter, gehen Sie

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