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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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ergriff sie mit aller Begeisterung eines Verliebten, ja, er machte eine Bewegung, als wolle er seine Braut küssen. In denselben Augenblick aber wurde er bleich und starr wie ein Toter, sein Blick blieb entsetzt an der leeren Luft haften, und endlich wankte er nach rückwärts und schrie auf: »Was willst du? Weshalb drohst du mir?«
    »Was haben Sie?«, fragte Aniela erschreckt.
    »Dort steht sie«, fuhr er fort, »zwischen mir und Ihnen, die tote steinerne Frau, sie hat meinen Ring am Finger und mahnt mich. Und jetzt schwebt sie zur Türe hinaus, dort, dort, und sie winkt mir.«
    Zu rechter Zeit stand wieder Maurizi in einem weißen Mantel wie der Gouverneur in »Don Juan« da. Ein Angstschrei durchzitterte das Zimmer, Aniela schlug die Hände vor das Gesicht, und Manwed sank auf einen Sessel.
    »Ich bin sehr erschrocken«, begann Maurizi, am ganzen Leibe bebend.
    »Können Sie denn nicht eintreten wie ein anderer Mensch!«, grollte der alte Herr.
    »Sie sind krank«, sagte der Adjunkt zu Manwed, »vielleicht ist ein Nervenfieber im Anzug. Suchen Sie zu schwitzen. Legen Sie sich in das Bett und nehmen Sie Holundertee.«
    »Ich fange an, mich vor ihm zu fürchten«, murmelte Aniela.
    Manwed blickte mit verglasten Augen um sich, erhob sich, strich mit der Hand über die Stirne und verließ das Zimmer.
    Eine Woche verging, ohne dass man ihn zu Gesichte bekam. Herr Bardoßoski fuhr zu ihm, aber traf ihn nicht zu Hause. Mir erging es nicht besser, aber er erwiderte noch an demselben Abend meinen Besuch. Wie einer, der eben sein Grab verlassen hat, verzerrten Gesichtes, bleich, schlotternd, kam er herein, bot mir die Hand und saß mehr als eine Stunde bei mir, ohne zu sprechen, ja, ohne zu hören, was ich ihm sagte.
    »Komm«, rief er plötzlich, »ich muss an die Luft, begleite mich!«
    Ich ließ zwei Pferde satteln, und wir ritten in leichtem Galopp auf der Landstraße durch beschneite Felder und zwischen weiß vermummten Bäumen seinem Gute zu. Mit einem Male hielt er seinen Braunen an und deutete vor sich hin.
    »Siehst du«, flüsterte er mit trockener Stimme wie ein Fieberkranker, »siehst du sie?«
    »Ich sehe niemand.«
    »Dort, die weiße Frau, die auf schwarzem Pferde dahinsprengt!«
    Es war jene Zeit der Dämmerung, welche düsterer ist als vollkommene Nacht; ich strengte meine Augen an, ohne etwas entdecken zu können. Er gab sich endlich zufrieden. Wir kamen in seinem Hofe an, stiegen ab und saßen dann in seinem kleinen, behaglichen Rauchzimmer bei dem großen Kamin, dessen starkes, rotes Feuer zugleich für Beleuchtung sorgte. Der alte Bediente füllte den Samowar mit glühenden Kohlen. Keiner von uns beiden hatte Lust zu sprechen. Unter dem Diwan stöhnte der gelbe Jagdhund auf, er schien zu träumen, die massive Uhr, deren geschnitztes Holzgehäuse sich wie ein Turm von der Diele fast bis zum Plafond [65] erhob, hielt ihren eintönig ernsten Sermon. Eine Motte hatte sich aus der schadhaften Polsterung des Lehnstuhles, in dem ich saß, erhoben und umkreiste lautlos den Samowar.
    »Was war das?«, fragte plötzlich Manwed.
    »Ich habe nichts gehört.«
    »Aber jetzt …«
    In der Tat klopfte es leise an die Fensterscheiben, welche von Eisblumen, die großen Brüsseler Spitzen glichen, verdeckt waren.
    »Nun, siehst du auch diesmal nichts?«, fragte lächelnd Manwed. Er stand auf und näherte sich dem Fenster. Ich blickte lange hin und sah endlich in der Tat, vom Monde beleuchtet, eine weiße Frau vor demselben stehen, welche mit meinem Freunde Zeichen des Einverständnisses wechselte. Zuletzt nickte sie mit dem Kopfe und zog sich zurück.
    »Was soll das bedeuten«, fragte ich, »bin auch ich verrückt, oder leiden wir beide an Augentäuschungen?«
    Manwed zuckte die Achseln. »Ich bin, wie du mich da siehst, bereits ganz in den Krallen des Satans«, flüsterte er, »es ist das eine Geschichte, die gewiss nicht alle Tage vorkommt, und deshalb möchte ich sie dir gerne erzählen, aber du musst nicht glauben, dass ich wahnsinnig bin, und noch weniger, dass ich dir ein Märchen erzähle. Mir ist eben nicht spaßhaft zumute. Arme Aniela!«
    Wir nahmen Tee, er zündete mir meine Pfeife an, fing die Motte, die um den Samowar streifte, und warf sie in das rote Feuer des Kamins, das sie im Augenblick verzehrt hatte. Dann begann er.
      
    »Es war eine schöne, geisterhafte Vollmondnacht, als ich zum dritten Male nach dem Schlosse Tartakow ritt. Ich wollte meinen Ring wiederhaben um jeden Preis. Der alte

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