- Lasst die Toten ruhen
verwitterte Mann erwartete mich diesmal im Torweg, nickte freundlich, nahm mein Pferd und lud mich ein, etwas zu mir zu nehmen. Ich trank ein Glas alten Burgunders, der meine Adern wie Feuer durchströmte, das war alles. Mein Kopf war hell, mein Herz pochte nicht im Mindesten. Ich war entschlossen und ohne Furcht. Als es Mitternacht schlug, öffnete mir der Alte die Tür des großen Saales und schloss sie wieder hinter mir. Ich achtete nicht darauf, sondern stieg rasch die Treppe empor und fasste die Hand der marmornen Schönen in der Absicht, ihr meinen Ring zu nehmen, aber sie zog den Finger an sich, und ich strengte mich vergeblich an, ihr denselben zu entreißen.
Es war ein unheimlicher Kampf mit der kalten, steinernen Toten im fahlen Mondlicht und der tiefen Stille, welche herrschte. Ich ließ endlich die Arme sinken und schöpfte Atem, da hob auch ihre herrliche Brust einen Seufzer und ihre weißen Augen blickten mich mit einem überirdischen Schmerz an, der mich beschämte, der mir die Besinnung raubte. Ohne zu bedenken, was ich tat, schlang ich die Arme um ihren kalten schönen Leib und presste meine heißen Lippen auf ihre eisig starren.
Es war ein Kuss ohne Ende, nicht wie wenn zwei Seelen ineinanderfließen, sondern wie wenn eine dämonische Gestalt langsam mir das Blut aus dem Leben saugen würde. Mich fasste eine namenlose Angst, aber ich war nicht fähig, mich von den toten Lippen loszumachen, schon wurden sie warm von den meinen, schon hob ein sanfter Atem die elfenweiße Brust, und mit einem Male schlangen sich die Marmorarme um meinen Nacken wie eine schwere Kette, die süße Last drückte mich nieder auf die Knie, und zugleich brach ein reizendes Lächeln wie ein Mondstrahl aus den weißen Augen. Die ganze Gestalt begann, sich sanft zu regen, wie Bäume sich im Frühlingswind strecken und aufatmen, nachdem der starre Schlaf gewichen, die Füße versuchten sich im Schritt, und langsam, wie zum Tod ermattet, trat sie vom Piedestal herab. Von ihrer Schönheit hingerissen, umschlang ich die Halberwachte und küsste sie von Neuem mit aller Glut des Lebens und der Jugend, die durch meine Pulse flog. Sie gab mit müden Lippen den Kuss zurück wie im Schlafe, dehnte in olympischer Trägheit die blühenden Glieder und schwebte langsam wie eine Nachtwandelnde einer Türe zu, die ich bisher noch nicht bemerkt hatte, indem sie mir mit der Hand zu folgen winkte.
Die Türe schien von selbst aufzuspringen, und wir betraten ein Gemach mit getäfeltem Plafond, uralten Tapeten, seltsam geformten Möbeln mit vergoldeten Lehnen und Füßen, dessen Boden mit einem persischen Teppich bedeckt war. In der Nähe des Kamins stand ein Ruhebett aus blutrotem Seidenpolster, wie man es in türkischen Harems findet, vor demselben war ein Löwenfell ausgebreitet. In der schweren Luft war ein Geruch von Moder und von Spezereien [66] wie in einer Gruft. Kein Licht brannte in den großen Armleuchtern, die vor dem Spiegel standen, aber draußen an dem dunklen Himmel hing der Mond wie eine silberne Ampel und erhellte den kleinen Raum vollständig. Das schöne Weib streckte sich auf dem Ruhebette aus und winkte mich zu sich.
Ich lag vor ihr auf meinen Knien und hauchte ihre Füße an und küsste sie und küsste ihre Hände, ihren Nacken, ihre Schultern, bis sie mich mit verschämter Anmut an sich zog und von Neuem an meinen Lippen hing. Es ist unbeschreiblich, was ich empfand, als ich sie an meiner Brust erwarmen fühlte, der Strom des Lebens durchzuckte sie von Zeit zu Zeit elektrisch vom Wirbel bis zur Sohle, und wie wurde mir erst, als sie die Augenlider ganz wenig öffnete und mich von der Seite anblinzelte, als ihre Lippen sich bewegten und sie zu sprechen begann mit einer Stimme, die so seltsam war, so weich, während ihr großer Blick mit einem Male gleich einer Schneeflocke auf mein Herz fiel. Und merkwürdigerweise sprach sie französisch.
»Mich friert«, begann sie, »mache doch Feuer im Kamin.«
Ich gehorchte, und bald loderte es hell aus dem trockenen Holz empor und gab ein wunderbares Flammenspiel in dem Gemach, auf den verblassten Figuren, den alten Tapeten, auf dem Gelb der Möbel und dem rührend schönen Leibe der weißen Frau, die in den roten Seidenpolstern hingegossen lag, vom üppigen Lockengeringel umspielt. Der Mond flocht weiße Rosen in die blutroten des Feuers und bekränzte das stumme Götterbild. Der Wind sang im Schornstein, der Schnee pochte mit weißen Fingern an die Fensterscheiben, der Holzwurm
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