- Lasst die Toten ruhen
nur mutig vorwärts; Sie gelangen am Ende des Saales an zwei Treppen. Die linke führt zu dem Marmorweibe, treten Sie ein.«
Ich überschritt die Schwelle und stand in einem herrlichen Saal mit hohen Fenstern, durch die das volle Licht des Mondes hereinfiel und den ganzen Raum zauberhaft erhellte. Ich hörte die Türe hinter mir zufallen und die traurigsten Töne der Äolsharfe in den Lüften schweben. Es fiel wie ein kalter Stein auf meinen Weg, aber ich übermannte mich und ging vorwärts.
Meine Schritte hallten auf den Marmorplatten und langsam, wie ich mich den beiden Treppen, die sich am Ende des Saales erhoben, näherte, stiegen oben in dem silbernen Lichte des Mondes zwei Gestalten aus dem Boden empor.
Zu meiner rechten stand der Heiland im weißen, wallenden Gewande, das schöne Haupt mit der Dornenkrone bekränzt, das schwere Kreuz auf der Schulter, den Blick voll sanften Schmerzes auf mich gerichtet, und winkte mit der Hand.
Zur Linken aber zeigte sich ein Weib, dessen marmorne Glieder sich im Mondlicht zu dehnen und zu leuchten schienen, ein Weib von jener Schönheit, die etwas Teuflisches an sich hat, die uns mit holder Qual erfasst, die uns im Leiden jauchzen und im Genusse weinen lehrt. Ihre weiße, kalte Hand schien ausgestreckt nach meinem warmen zuckenden Herzen, ihre toten, weißen Augen hatten einen verschwommenen, sammetenen Glanz und einen Blick, der durch meine Seele ging wie Frühlingswehn.
»Du sollst das Kreuz der Menschheit auf dich laden«, schien der Heiland sanft zu mir zu sprechen, sie aber hob die toten, süßen, schwellenden Lippen zum Kusse.
Eine rätselhafte Gewalt zog mich zu ihr, die Stufen empor, in den sanften Dämmerschein, der um sie schwebte, und wie ich vor ihr auf den Knien lag, zog ich den Ring herab und ließ ihn auf ihre weißen Finger gleiten. Sie empfing ihn ruhig, kalt, wie ein Marmorbild, wie eine Göttin, eine Tote, und ich neigte meine Lippen zu ihren schönen Füßen nieder und küsste sie.
Dann stand ich auf und streckte meine Hand aus nach dem Ringe. Da geschah das Unglaubliche, was mir das Herz erstarren machte und meinen Geist verwirrte. Sie schloss die Hand und gab mir den Ring nicht mehr zurück.
Grauen erfasste mich, ich wich zurück und wäre fast die Treppe hinabgestürzt nach rückwärts, doch fasste ich mich noch einmal und sagte laut zu mir: »Ein Spiel der Fantasie, eine Gaukelei des Mondes, weiter nichts!«
Die Wölbung gab mir meine Worte zurück, aber spöttisch, wie mir schien, und mit einem Tone, der nicht der meine war. Ich trat noch einmal zu dem schönen Weibe hin, und wirklich hielt sie mir ihre weiße Hand mit göttlicher Anmut offen hin wie vordem, und ich sah an ihren Fingern den goldenen Reif. Noch einmal versuchte ich, ihn ihr zu entreißen, aber sie schloss von Neuem die Hand, und als ich Gewalt gebrauchen wollte, fühlte ich die marmornen Finger zur Faust geballt zwischen meinen Händen. Es durchschauerte mich.
Ich weiß nicht, wie ich aus dem Saale, wie ich aus dem Schlosse gekommen bin. Mir kehrte erst die Besinnung wieder, als der Morgenwind mir eisig in die Wangen schnitt, aber das gespenstische Weib schien mir zu folgen, ich sah es, vom Frührot zart angehaucht, in einer Wolke stehen, die über den Teich zog, und sah noch unweit meines Edelhofes ihren schönen, weißen Leib durch die schwarzen Tannen schimmern. Ich sehe sie seitdem im Traume und auch im Wachen, mit offenen Augen seh ich sie, wie sie sanft, gleich einem Mondstrahl in das Zimmer tritt und mich anlächelt mit ihren weißen Totenaugen.«
Während Manweds Erzählung war Herr Konopka eingetreten, vielleicht nicht ganz so wie ein Mondstrahl, aber jedenfalls leise genug, und starrte die reizende Aniela an. Plötzlich stieß diese einen gellenden Schrei aus, wir erblickten jetzt alle zu gleicher Zeit den guten jungen Mann, und es gab keinen, der nicht ein wenig zusammenfuhr.
»Aber was haben Sie denn«, fragte Frau Bardoßoska ärgerlich, »dass Sie uns jedes Mal so erschrecken müssen?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Herr Konopka, der wie Espenlaub zitterte, »aber so viel ist gewiss, dass ich mich selbst entsetzlich fürchte.«
»Sie fürchten sich?«, spottete Kordula. »Wovor denn?«
»Die Geschichte des Herrn Weroski hat mir jedes Haar emporgerichtet auf meinem Kopfe«, stammelte Maurizi.
Der alte Herr blies eine Wolke blauen Dampfes zur Seite, stopfte mit den Fingern den Tabak fester und sagte dann: »Ein gut erzähltes Märchen.«
Aniela
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