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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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so wie auf Verabredung verstummt? Der Erste, der den Mund öffnet, wenn ein Engel durchs Zimmer geflogen ist, sagt bekanntlich immer etwas Dummes.«
    »Alle sieben Weisen könnten nichts Klügeres über die Wirkung der Poesie sagen, als was Sie eben geäußert haben, liebes Fräulein«, erwiderte ich, mich gegen sie verneigend. »Ich freue mich, eine so tapfere Idealistin in Ihnen zu begrüßen, welcher Schiller, wenn er sie hätte reden hören, seine Hochachtung bezeugen würde als einer werten Gesinnungsgenossin. Denn in der Tat meinte er ja auch: Was sich nie und nirgends hat begeben, das allein veraltet nie. Aber lassen wir diese ästhetischen Prinzipienfragen und kommen zu unserer mitternächtigen Tagesordnung. Sie wollen Spukgeschichten hören? Wenn nun aber niemand von uns eine recht ausbündige, die nicht gar zu kindisch und köhlergläubig wäre, in Bereitschaft hat?«
    »Nein«, sagte das kluge Mädchen lachend, »das versteht sich, es darf nicht etwa auf einen bloßen Bademantel hinauslaufen, der zum Trocknen aufgehängt, vom Winde hin und her geweht wird und sich für ein Gespenst ausgibt, wie ich selbst als kleines Mädchen einmal erlebt habe. Es muss etwas sein, das einem vernünftigen Menschen, und der kein Hasenfuß ist, was aufzuraten gibt und wofür auch nicht gleich eine prosaische Aufklärung bei der Hand ist. Wie wär’s, wenn wir Umfrage hielten, und wer nichts derart aus eigener Erfahrung oder nach glaubwürdiger Mitteilung zu erzählen wüsste, müsste ein Pfand geben?«
    »Dann rücke du selbst nur gleich mit deinem Pfand heraus«, sagte die Schwester lächelnd, »denn schwerlich sind dir außer jenem Bademantel überirdische Gesichte zuteilgeworden.«
    »Wer weiß?«, versetzte die Mutwillige und bemühte sich, eine geheimnisvolle Miene zu machen. »Aber ich komme zuletzt. Der Doktor hat jetzt das Wort. Wir bitten um ein recht hübsches Gespenst, Herr Doktor, Wahrheit oder Dichtung, in Prosa oder in Versen ist uns gleich, nur dass es uns recht eiskalt dabei über den Rücken läuft und zu gleicher Zeit eine sanfte ätherische Hand uns das Gesicht streichelt.«
    »Damit kann ich nun freilich nicht dienen«, versetzte ich, »Wenn ich nicht etwas zusammenfabeln will, was ich doch aus dem Stegreif nicht wagen würde. Das Höchste in dieser Art hat schon ein Höherer geleistet, der Dichter der »Braut von Korinth«: Mir selbst ist nur ein unscheinbares Erlebnis in Erinnerung, das für eine geheimnisvolle Wirkung in die Ferne, die längst durch tausend Tatsachen bestätigt ist, ein neues Zeugnis ablegt. Ich war als ein junger Mensch von dreiundzwanzig Jahren in Rom und hatte in Berlin die beiden Menschen zurückgelassen, denen von all meinen Nächsten ich am meisten fehlte: meine Mutter und meine Braut. Im frühesten Frühling des Jahres 1853 nun, an einem dunklen, stürmischen Abend, sitzt meine Liebste ruhig mit einer Handarbeit bei ihren Geschwistern, als sie heftig unten an der Haustür klingeln hört und mit dem Rufe: ›Das ist Paul!‹ hinaus- und die Treppe hinuntereilt, um selbst das verschlossene Haustor zu öffnen. Niemand stand draußen an der Schwelle, und sie musste sich, da sie zurückkam, von den Brüdern mit ihrer ›bräutlichen Fantasie‹ necken lassen. Am anderen Morgen besucht sie meine Mutter, die kommt ihr mit den Worten entgegen: ›Denk nur, was mir gestern Abend begegnet ist!‹ – und erzählt genau denselben Hergang, wie sie plötzlich die Hausglocke gehört habe mit dem lebhaften Ton, den ich anzuschlagen pflegte, zu meinem Vater hineingeeilt sei und ebenfalls ausgerufen habe, das müsse ich sein, der unten stehe, worauf sich auch hier das Ganze als eine Sinnestäuschung erwiesen habe. Oder doch als etwas anderes? Denn acht Tage später kam ein Brief aus Rom mit der Nachricht, dass ich an einem Malariafieber bedenklich krank gelegen und gerade an jenem Abend die Gefahr auf ihre Höhe gestiegen sei.«
    Wieder ward eine kleine Stille in der Runde. Dann sagte das Fräulein ruhig: »Eine nachdenkliche Geschichte, von der ich jedes Wort glaube. Denn von den Wirkungen der Seelen aufeinander ohne die Vermittlung sinnlicher Zwischenträger haben wir ja heute Abend schon genug unwidersprechliche Beweise gehört. Und so sollen Sie ohne Pfand sich gelöst haben, obwohl es keine eigentliche Gespenstergeschichte ist, keine solche, die unglaublich ist und uns doch gruseln macht. Jetzt ist die Reihe an dem Herrn Obersten. Ich fürchte nur, der wird uns auch im Stich lassen. Denn

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