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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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soviel ich weiß, haben die Gespenster einen heiligen Respekt vor Leuten, die Waffen tragen und schon aus Beruf Courage haben müssen.«
    Sie wandte sich mit diesen Worten an meinen Nachbar, der sich während der letzten Stunde, solange das Gespräch sich um die Geheimnisse des Zwischenreichs gedreht, auffallend schweigsam verhalten hatte. Ein stattlicher Mann zu Anfang der Fünfziger, Haar und Bart vorzeitig ergraut; die wetterbraune Farbe des Gesichts stach mit einem gewissen koloristischen Reiz dagegen ab, und nur ein leises Zucken, das dann und wann den festen Mund umzog, verriet ein geheimes Leiden. In der Tat hatte der treffliche Mann, der mit Leib und Seele Soldat war und im Kriege von 70 und 71 mit Auszeichnung gedient hatte, wegen tief eingenisteter rheumatischer Beschwerden infolge seiner Feldstrapazen vor zwei Jahren den Abschied nehmen müssen mit Oberstenrang und allen sonstigen Ehren, die ihn jedoch über seine gezwungene Untätigkeit so wenig zu trösten vermochten wie die kriegsgeschichtlichen Studien, mit denen er seine Muße ausfüllte.
    Wir alle schätzten ihn sehr und freuten uns, dass er in unserem Kreise seiner schwermütigen Stimmung Herr zu werden imstande war und bei den witzigen Torheiten, auf welche die Schwester der Hausfrau verfiel, das dankbarste Publikum abgab.
    Desto bestürzter sahen wir nun, wie er auf die letzten Worte des Fräuleins erblasste, den Blick zu Boden kehrte und eine Weile unschlüssig schien, was er erwidern sollte.
    Es war offenbar, dass irgendeine wunde Stelle in seinem Inneren berührt worden war und dass er nach seiner angeborenen Tapferkeit sich bemühte, den Schmerz zu verwinden und nichts davon zutage kommen zu lassen.
    Eben wollte das betroffene Mädchen, das bei all seinem Übermut einen feinen Herzenstakt besaß, die unliebsame Übereilung wiedergutmachen und unter einem scherzhaften Vorwande den Oberst von der Pfänderpflicht freizusprechen, als dieser die Augen mit ruhigem Entschluss wieder aufhob und sagte:
    »Ich hätte allerdings etwas zu erzählen, was den Anforderungen, die Sie an eine richtige Spukgeschichte stellen, hinlänglich entsprechen möchte. Ich müsste aber, um verständlich zu machen, warum dies Erlebnis mir so naheging, ziemlich weit in meine Vergangenheit zurückgreifen und allerlei Herzensabenteuer berühren, die Ihnen nicht sehr interessant sein können. Zudem ist die Polizeistunde längst überschritten –«
    Das Fräulein ließ ihn nicht ausreden. »Ich bin nicht die Hausfrau«, sagte sie mit einem lieblichen Erröten, »und habe wohl überhaupt schon zu dreist das Wort geführt. Aber wie ich meine Schwester kenne – von dem lieben Schwager gar nicht zu reden –, so ist es ihr nie zu spät, eine merkwürdige Geschichte erzählen zu hören, zumal wenn es sich um Herzensabenteuer eines so verehrten Hausfreundes handelt. Überdies ist die Bowle noch nicht zur Hälfte ausgetrunken, was mich, die ich sie gebraut habe, kränken muss. Lassen Sie mich also Ihr Glas wieder füllen, dann will ich mäuschenstill sein und recht mit Wonne mich graulen.«
    Sie merkte, dass sie doch nicht den rechten Ton gefunden hatte, denn auf seinem Gesicht erschien kein Lächeln wie sonst bei ihrem schalkhaften Geplauder. Auch wir anderen gerieten in eine etwas beklommene Stimmung, da wir den Freund jetzt aufstehen und ein paar Mal das Zimmer durchschreiten sahen. Er stand endlich an dem längst erloschenen Ofen still, lehnte sich mit dem Rücken daran und begann seine Geschichte.
    »Was ich Ihnen erzählen will, liegt schon eine ziemliche Strecke Zeit hinter mir, über zehn Jahre. Doch bei der leisesten Erinnerung daran steht alles wieder so lebhaft vor mir, als hätte sich’s gestern zugetragen, und ich habe ganz dieselben Schauer von Glut und Frost in meinem Blute zu überstehen wie in jener wundersamen Nacht.
    Ich schicke dies voraus, damit Sie mich nicht im Verdacht haben, Ihnen einen leeren Traum vorzutragen. Träume pflegen zu verschäumen. Was ich damals erlebte – doch ich will ohne weitere Vorrede zur Sache kommen.
    Es war also im Jahre 1880, im Hochsommer. Ich hatte vier Wochen Urlaub ausgewirkt, da mein rheumatisches Leiden eben damals anfing, mich unerträglich zu peinigen. Das Wildbad aber, auf das ich meine Hoffnungen gesetzt hatte, tat Wunder. Nach drei Wochen fühlte ich mich wie neu geschaffen, und da die Hitze in jenen Talgründen mir im Übrigen nicht wohltat, sprach der Badearzt mich nach den üblichen einundzwanzig Bädern frei und riet

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