- Lasst die Toten ruhen
sagen, dass vom Schlafe keine Rede war. Und als wir am Morgen wieder nach der Straße lenkten und das kleine Tal hinter uns hatten, meinte der kleine Hadschi:
»Wenn ich heimgekehrt bin zu Hanneh, der Schönsten unter den Schönen, so werde ich sie lehren, aus dem Weine Blut der Erde zu machen, denn ein Tropfen desselben überwindet alles Herzeleid der Welt. Allah ist groß, und Mohammed ist sein Prophet!«
Nachbemerkung
Der Auszug verdeutlicht sehr schön Mays eigentümliche Haltung: Einerseits verweisen die vielen akkuraten und erklärenden Beschreibungen wie die Reiseroute oder das Schröpfen auf den Realismus, andererseits verweist die unerschütterliche aufklärerische Einstellung des Erzählers auf den Idealismus.
Entsprechend dieser Haltung entstammt das Vampirmotiv der Sage. Bekanntermaßen hatte May zu dieser Zeit Deutschland noch nicht verlassen, seine Darstellung fremder Länder speist sich also aus einer Mischung von Informationen aus Fachzeitschriften, Allgemeinplätzen und seiner Fantasie. Für das Vampirmotiv stellt Ralf Schönback in seinem Artikel »›Zu einem guten Kartenleser gehört schon Etwas…‹ Die Quellen der Balkan-Romane Karl Mays« fest, dass es sich weitgehend auf den Artikel »Der Vampyr. Eine Reiseerinnerung aus Bosnien« von Julius von Wickede zurückführen lasse. Nur die Spezifikationen des Pfahls seien dort nicht enthalten.
Man kann einige interessante Momente am Text feststellen. Zunächst fällt auf, dass die literarische Verarbeitung des Vampirs sich schon erheblich vom Vorbild der Sage abkehrte. Die widernatürliche Auferstehung der Toten und deren Vernichtung durch das Pfählen sind zu diesem Zeitpunkt die einzigen echten Übereinstimmungen. Allerdings tritt die Abwehr durch den christlichen Ritus und die Nachtaktivität des Vampirs in beiden Fällen auf. Die Verknüpfung des Vampirs mit dem Thema Krankheit gehört ebenfalls in dieses Umfeld: In vielen Sagen wird das Auftreten von Seuchen eng mit dem Vampirismus in Verbindung gebracht – hier sind es die Pocken. Implizit werden in der Literatur Vampire über die Opfer mit Krankheit verknüpft; die Opfer scheinen ihren Freunden und Verwandten zunächst krank zu sein, bis die wahre Natur der Schwäche entdeckt wird. Die explizite Verbindung ist spätestens mit Richard Mathesons 1954 veröffentlichter Erzählung »Ich bin Legende« kraftvoll in die Literatur eingezogen. Tatsächlich sind auch von Wissenschaftlern reale Epidemien als Erklärung für geballt auftretende Vampir-Berichte herangezogen worden; Schaubs »Blutspuren« gibt hierüber einen Überblick.
May mag diesen Aspekt von Wickede haben, der wiederum sich mit Sagen befasst. Doch im Vampirglauben lassen sich keine Hinweise auf eine Verknüpfung von Vampir und Fledermaus finden. Dabei wäre diese Verbindung auch ohne die Entdeckung Blut trinkender Fledermäuse – dem Gemeinen Vampir (Desmodus rotundus,) dem Weißflügelvampir (Diaemus youngi) und Kammzahnvampir (Diphylla ecaudata) – naheliegend gewesen, schließlich hatten sie schon seit Jahrhunderten die Bildenden Künste in der Darstellung des Bösen beeinflusst – Fledermausflügel sind von Dämonendarstellungen nicht wegzudenken. Zumal die Vampire des Volksglaubens unglaublich wandlungsfähig sind: Das reicht von der Verwandlung in eine Katze oder einen Wolf zu so bizarren Dingen wie Schmetterlinge oder Scheunen. Weiteres hierzu findet man in Kreuters »Der Vampirglaube in Südosteuropa«. Möglicherweise zog die Fledermaus mit der Entdeckung von Vampirfledermäusen in den noch lebendigen Vampirglauben ein, ohne verschriftlicht zu werden; nachprüfen lässt sich dieses wohl nicht mehr. Die Ansicht, dass die Verwandlung des Vampirs in eine Fledermaus in der Literatur erst mit Bram Stokers 1897 veröffentlichtem Roman »Dracula« bekannt wurde, ist weit verbreitet. Mays Vampir-Episode ist allerdings etwa elf Jahre älter und legt damit die Vermutung nahe, dass die Verknüpfung ebenfalls deutlich früher bekannt war – schließlich soll der Pseudovampir den »Irrglauben« entlarven und nicht weiterentwickeln.
Vorbemerkung
Paul Heyse wurde 1830 in Berlin geboren. Zunächst eiferte er seinem Vater nach, der ein Professor für klassische Philologie war, und studierte selbst klassische Philologie in Berlin. 1849 wechselte er dann Fach und Ort seiner Studien – er begann ein Studium der Romanistik und Kunstgeschichte in Bonn. 1852 schloss er dieses mit einem Doktorgrad ab. Nach einer ausgedehnten
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