Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
Richtung Süden nach Manchester gedüst und haben im Battenkill gefischt, und mein Daddy hat in der Orvis-Fabrik alles mögliche Zeugs gekauft. Ruten zum Blinker- und Fliegenfischen und so Sachen. Dann ist er in dem Winnebago nach Texas zurückgefahren, und ich hab bei meiner Tante, der Biker-Jägerin, vorbeigeschaut.«
Er hob sein Glas in meine Richtung, und alle machten es ihm nach.
»Es ist irgendwie komisch«, fuhr Kit fort. »Weil mir mein Daddy letztes Jahr ein Motorrad gekauft hat.«
Ich war entsetzt, aber nicht überrascht. Howard war der zweite Ehemann meiner Schwester, ein Ölmensch aus West Texas mit mehr Geld als Verstand und einem Defekt in seiner Doppelhelix, der ihn unfähig machte zur Monogamie. Sie ließen sich scheiden, als Kit sechs Jahre alt war. Vater sein hieß für Howard, seinen Sohn mit Geschenken und Geld zu überhäufen. Mit drei bedeutete das Ponys und motorisierte Spielzeugautos. Mit achtzehn waren es dann Segelboote und ein Porsche.
»Was für ein Motorrad?«, fragte Isabelle.
»Es ist eine Harley-Davidson. Daddy steht auf Harleys. Meine Maschine ist eine Road Kind Classic, und er hat eine Ultra Classic Electra Glide. Das sind beide Evos. Aber Daddys wahre Liebe ist seine alte Knucklehead. Die wurden nur von 1936 bis 1947 gebaut.«
»Was bedeuten diese Begriffe?«, fragte Isabelle.
»Es sind Spitznamen, die sich auf die Form des Zylinderkopfes beziehen. Der Evolution V2 Motor wurde Anfang der Achtziger zum ersten Mal gebaut. Ursprünglich nannte man ihn Blockhead, aber dieser Name setzte sich nie richtig durch. Die meisten Leute nennen ihn einfach Evo. Und viele von den Bikes, die man heute sieht, sind Shovelheads, die von 1966 bis 1984 gebaut wurden. Von 1948 bis 1964 waren es Panheads, davor Flatheads, die ‘29 herauskamen. Aus welcher Epoche ein Motorrad stammt, ist ganz leicht an der Form des Zylinderkopfes festzustellen.«
Kits Begeisterung für Motorradfahrer war nichts im Vergleich zu seinem Enthusiasmus für Motorräder.
»Wussten Sie, dass alle modernen Harleys von der Silent Grey Fellow abstammen, dem ersten Motorrad, das um die Jahrhundertwende in Milwaukee vom Band rollte? Die Silent Grey Fellow hatte einen Einzylindermotor, der mit vierhundert Kubikzentimetern drei PS schaffte. Keine hydraulischen Nocken, keinen elektrischen Starter, keinen V-Motor.« Kit schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ein moderner Twin Cam Motor bringt gut fünfzehnhundert Kubik. Sogar eine alte 71er FLH hat bei zwölfhundert Kubik eine Kompression von achtzig Komma fünf zu eins. Und das ist noch gar nichts im Vergleich zu den heutigen Maschinen. Ja, wir haben es weit gebracht, aber jeder Hobel auf der Straße kann seinen Stammbaum auf die alte Silent Grey Fellow zurückfuhren.«
»Gibt es denn nicht auch andere Motorradhersteller?«, fragte der Schauspieler.
»Natürlich«, erwiderte Kit mit verächtlicher Miene. »Es gibt Yamahas, Suzukis, Kawasakis und Hondas. Aber das sind nur Transportmittel. Die Briten haben früher gute Maschinen gebaut, Norton, Triumph, BSA, aber die sind alle bankrott gegangen. Die deutschen BMWs waren beeindruckende Maschinen, aber für mein Geld will ich nichts anderes haben als ‘ne Harley.«
»Sind die teuer?« Claude-Henri.
Kit zuckte die Achseln. »Harley baut keinen Ramsch. Das sind keine Billiggeräte.«
Ich hörte zu, wie mein Neffe erzählte. Er hatte die gleiche Verehrung für und das gleiche Wissen über Motorräder wie Marie-Claire für Möbel. Vielleicht war sein Besuch sogar ein Glücksfall für mich. Er konnte mir helfen, diese fremde Welt, in die ich eben eintauchte, zu verstehen.
Es war fast Mitternacht, als wir uns verabschiedeten und den Aufzug holten. Ich war reif fürs Bett, aber Kit war noch sehr aufgedreht, er plapperte über Maschinen und über die Gäste und Ereignisse des Abends. Vielleicht war es der Wein, vielleicht seine Jugend. Ich bewunderte seine Ausdauer.
Es hatte aufgehört zu regnen, aber ein starker Wind blies vom Fluss her, raschelte in den Zweigen und Büschen und blies feuchtes Laub über den Boden. Als Kit anbot, das Auto zu holen, begutachtete ich zuerst gründlich seinen Zustand, gab ihm dann die Schlüssel und wartete in der Lobby.
Nach weniger als einer Minute kam er vorgefahren, stieg aus und wechselte auf die Beifahrerseite. Als ich mich hinter das Steuer gesetzt hatte, warf er mir einen braunen Umschlag in den Schoß.
»Was ist das?«
»Umschlag.«
»Das sehe ich auch. Wo kommt der her?«
»Er steckte
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