Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
unter dem Scheibenwischer. Du hast anscheinend einen Verehrer.«
Ich betrachtete den Umschlag. Er war wattiert, die Lasche mit Heftklammern verschlossen, und auf der Rückseite befand sich ein Aufreißer. Mein Name stand in rotem Filzstift darauf.
Ich starrte die Buchstaben an, und in meinem Kopf klingelte eine Alarmglocke. Wer wusste, dass ich heute Abend auf der Insel sein würde? Wer kannte mein Auto? Hatte man uns verfolgt? Beobachtet?
Vorsichtig tastete ich den Inhalt ab. Ich spürte etwas Rundes, Hartes.
»Also komm.«
Ich erschrak über Kits Stimme. Als ich mich ihm zuwandte, wirkte sein Gesicht in dem schwachen, gelben Licht, das aus der Lobby drang, gespenstisch blass, die Schatten darauf jedoch dunkel und verzerrt.
»Verdammt, Kit, das könnte…« Ich brach ab, weil ich gar nicht genau wusste, was ich dachte.
»Könnte was sein?« Kit drehte sich mir zu und legte den Arm über die Rücklehne. »Komm. Mach ihn auf«, stichelte er. »Ich wette, das ist nur ein Jux. Einer deiner Bullenkollegen hat wahrscheinlich dein Auto entdeckt und dir irgendeinen Blödsinn unter den Wischer geklemmt, um dich zu erschrecken.«
Das war möglich. Jeder Polizist hätte das Nummernschild überprüfen lassen können. Und ich war bereits in der Vergangenheit Zielscheibe von Scherzen gewesen.
»Mach auf.« Kit schaltete die Innenbeleuchtung ein. »Vielleicht sind es Karten für die Expos.«
Ich zog den Aufreißer ab und griff in den Umschlag. Meine Finger schlossen sich um ein kleines Glasgefäß.
Als ich das Glas herauszog und ans Licht hielt, spürte ich, wie mir die Galle in die Kehle stieg. Die rhythmischen Kontraktionen unter meiner Zunge sagten mir, dass ich mich gleich übergeben musste. Ich hörte Kit kaum noch, als ich die Tür aufriss.
»Ach du Scheiße, Tante Tempe. Da muss aber einer ziemlich sauer auf dich sein.«
15
Der Augapfel lag mit der Pupille nach oben am Boden des Glases, Gewebefasern schwebten wie Tentakel in der trüben Flüssigkeit. Das Organ war trüb und teilweise kollabiert, an einer Seite schien es einen gezackten Riss zu haben. Obwohl das Glas fest verschlossen war, verströmte es einen vertrauten Geruch. Ein zusammengefaltetes Papier klebte am Boden.
Kit streckte die Hand aus und zog den Zettel ab.
»On te surveille.« Mit seinem texanischen Akzent klang der französische Satz merkwürdig. »Was bedeutet das, Tante Tempe?«
»Wir beobachten dich.«
Mit zitternden Händen steckte ich Glas und Zettel wieder in den Umschlag und legte ihn im Fond auf den Boden. Der Geruch nach Formaldehyd schien überwältigend. Ich wusste, dass er nur in meinem Kopf existierte, aber das tat wenig gegen meine Übelkeit. Gegen den Würgereiz ankämpfend, wischte ich mir die Hände an der Hose ab und legte den Gang ein.
»Meinst du, das ist ein Witz?«, fragte Kit, als wir auf den Boulevard Île-des-Sœurs einbogen.
»Ich weiß es nicht.«
Kit spürte, in welcher Verfassung ich war, und schwieg.
Zu Hause steckte ich das Glas in mehrere Plastiktüten und verschloss es in einer Tupperware-Dose. Dann räumte ich das Gemüsefach aus und stellte das Ganze in den Kühlschrank.
Kit sah mir stumm und mit verwirrter Miene zu.
»Ich nehme es am Montag mit ins Labor«, erklärte ich.
»Das ist ein echtes Auge, nicht?«
»Ja.«
»Meinst du, das ist ein Witz?« Er wiederholte seine Frage von zuvor.
»Wahrscheinlich.« Ich glaubte es zwar nicht, wollte ihn aber nicht unnötig ängstigen.
»Ich habe zwar das Gefühl, ich sollte das nicht fragen, aber wenn es ein Witz ist, warum nimmst du es dann mit ins Labor?«
»Vielleicht jagt das den Witzbolden einen Schrecken ein«, erwiderte ich, so beiläufig ich konnte, und nahm ihn dann in den Arm. »Also, ich gehe jetzt ins Bett. Und morgen überlegen wir uns was, das Spaß macht.«
»Klingt cool. Kann ich noch ein bisschen Musik hören?«
»Fühl dich wie zu Hause.«
Nachdem Kit in seinem Zimmer verschwunden war, kontrollierte ich zweimal die Schlösser an Türen und Fenstern und vergewisserte mich, dass das Sicherheitssystem funktionierte. Dem Drang, unter dem Bett und im Schrank nachzusehen, konnte ich gerade noch widerstehen.
Kit hatte sich Black Sabbath ausgesucht. Er spielte sie bis viertel nach zwei.
Lange lag ich wach, lauschte dem Hämmern von Heavy Metal und fragte mich, ob das überhaupt noch Musik war, fragte mich, wie viele Anrufe von den Nachbarn ich bekommen würde und wer so versessen darauf war, mir eine Botschaft zukommen zu lassen, dass er
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