Last days on Earth: Thriller (German Edition)
Straße und ihre dünnen Kleider und ließ sie erstarren. Nach der schwülen Hitze, unter der sie vor ein paar Atemzügen noch gestöhnt hatte, war der Kontrast zu den winterlichen Temperaturen umso erschreckender. Karla klaubte mit klammen Fingern hastig ihre Schlüssel aus der Tasche und rettete sich in den Hausflur.
Sie lief die Treppe hinauf, drückte einmal kurz auf die Türklingel und wartete einen Moment, ehe sie den Schlüssel ins Schloss schob. Sie wollte Raoul nicht dadurch zu Tode erschrecken, dass sie plötzlich unangemeldet in seiner Wohnung stand. Falls er überhaupt zu Hause war – denn von drinnen war kein Mucks zu vernehmen.
Sie schloss die Tür hinter sich und stand in der dunklen Diele. Aus keinem der Zimmer drang Licht oder ein Geräusch. Karla stellte ihren Rucksack unter die Garderobe und schob die Tür zum Wohnzimmer auf.
Sie hörte die Bewegung, aber bevor sie sich umdrehen konnte, hatte sie jemand von hinten gepackt und drückte ihr die Luft ab. Karla wehrte sich gegen den Griff, trat und boxte nach hinten und traf auf Widerstand. Der Angreifer ächzte und verstärkte seinen Druck um ihren Hals. Etwas Spitzes bohrte sich in ihre Nierengegend, während sein hastiger Atem über ihre Wange strich.
Karla hörte auf, sich zu wehren, und ließ ihre Muskeln schlaff werden. Der Mann lockerte überrascht seinen Griff, und sie packte seinen Arm und verdrehte ihn. Sie hörte, wie etwas zu Boden klirrte und der Angreifer aufstöhnte. Das schwache Licht, das durch einen Spalt der zugezogenen Vorhänge hereinfiel, glitt über sein Gesicht, ehe er neben dem Messer, mit dem er sie bedroht hatte, zu Boden krachte.
Karla fluchte, betätigte den Lichtschalter und kniete hastig neben ihm nieder. »Raoul«, sagte sie. »Verdammt, du Idiot!«
Er stöhnte wieder und kroch von ihr weg. Sein Gesicht war verzerrt vor Schmerz und Panik. »Nein«, stammelte er. »Nein, bitte nicht, nein …« Er zog sich an einem Stuhl hoch und flüchtete zur Tür des Arbeitszimmers.
»Raoul!«, rief Karla, »Sieh mich an! Ich bin es, Karla!« Sie setzte ihm nach und griff nach seiner Schulter. Er fuhr herum, schlug blind nach ihr.
Karla duckte sich, umfasste seine Taille und brachte ihn erneut zu Fall. Sie kniete sich auf ihn und hielt seine Arme fest. »Raoul. Raoul! Ganz ruhig, Langer. Ich bin es. Karla.«
Jetzt schien sie zu ihm durchgedrungen zu sein. Der Ausdruck schierer Panik wich dem der Verblüffung und Sorge. Raoul hörte auf, sich gegen sie zu wehren, und sah sie an. »Karla«, sagte er. »Wieso – du bist irgendwo in Asien.«
»Ich bin auf dem schnellsten Weg zurückgekommen«, erwiderte Karla und stieg von ihm herunter. »Wenn ich gewusst hätte, wie herzlich du mich empfängst, hätte ich mir das vielleicht noch mal überlegt.« Sie half ihm, sich aufzusetzen. »Ich habe dich verletzt«, sagte sie. »Was ist es, der Arm? Die Schulter?« Sie knöpfte sein Hemd auf und betastete seinen Arm.
Raoul verzog das Gesicht. »Wo kommst du her?«, fragte er benommen.
»Das ist jetzt unwichtig. Was hast du dir dabei gedacht, mir hinter der Tür aufzulauern? Ich hätte dich ernsthaft verletzen können!« Sie legte ihre Hände um das ausgerenkte Gelenk und ließ Essentia hindurchfließen, bis das Energiefeld unter ihren Fingern wieder im gleichmäßigen Rhythmus pulsierte. »Besser?«
Er bewegte vorsichtig die Schulter und nickte. »Wo kommst du her?«, wiederholte er.
Sie reichte ihm die Hand und zog ihn auf die Beine. »Singapur. Jetzt lass das. Was ist los. Bericht, Winter.«
Er nickte matt. Sie sah einige scharfe Falten in seinem Gesicht, die noch vor ein paar Monaten nicht existiert hatten, und sein Blick hatte etwas Gehetztes. Karla milderte ihren Ton, der allein ihrer Besorgnis entsprang, und sagte: »Komm, Raoul. Ich koche uns einen Tee, und dann erzählst du mir, warum dich jemand umbringen will.«
Er ließ sich von ihr an den Küchentisch setzen und mit einem Becher Tee versorgen. Im hellen Licht der Küchenbeleuchtung sah er sogar noch schlimmer aus. Ein Tic ließ sein linkes Auge zucken, seine Hände blieben keine Sekunde ruhig, sondern fuhren unablässig über seine Kleider, den Tisch, nahmen den Zuckerlöffel auf, legten ihn wieder hin, drehten die Tasse, stellten sie wieder ab, fuhren zum Mund und über die Haare …
Karla setzte sich ihm gegenüber und nahm seine Hände. Sie schickte einen gleichmäßigen kleinen Strom Essentia in sein System, um ihm Ruhe zu geben, und sagte leise: »Erzähl.«
Er
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