Last days on Earth: Thriller (German Edition)
Eigentümer der Sammlung ist da recht wählerisch.«
»Besagter Felsenstein«, vermutete Karla und machte um den Namen in ihrem Notizbuch einen Kringel. »Er hat die Sammlung nur zur Verfügung gestellt? Ist es eine zeitlich begrenzte Leihgabe?«
»Nein, Frau – äh – van Zomeren. Es ist eine Stiftung, die Bücher gehören dem Museum. Aber der Stifter hat immer noch ein Mitspracherecht, was seine Sammlung betrifft.«
Raoul befragte die Kuratorin weiter zu dem toten Wachmann. Sie erzählte, dass er mitten im Zimmer gelegen hatte, in einer Lache seines eigenen Blutes, das aus klaffenden Wunden in Brust und Kehle geflossen sei.
»Das muss sehr unangenehm für Sie gewesen sein«, sagte Raoul.
»Ja, das war es«, erwiderte die Kuratorin.
Karla runzelte die Stirn und notierte: »Leiche Wachmann (Rosko). Bericht des Mediziners?« Sie hob den Kopf und fragte: »Befand er sich in seiner menschlichen Gestalt?«
Dr. Gernhardt schauderte. »Ja«, erwiderte sie knapp.
»Dürfen wir uns den Ort des Geschehens ansehen?«, fragte Raoul.
Die Kuratorin zögerte. »Das ist nicht …«, begann sie. »Bei allem Respekt für Ihre Arbeit, Herr Winter, das kann ich jetzt nicht … Nein, das geht ganz und gar nicht. Machen Sie doch bitte für nächste Woche einen Termin mit dem Sekretariat aus.«
Raoul beugte sich ein wenig vor und tippte leicht mit dem Zeigefinger auf den Tisch. Der Blick der Kuratorin folgte ihm verwirrt.
Karla, die dem Schauspiel gespannt zusah, unterdrückte einen Laut der Verblüffung. Raoul legte seine Hand neben die der gebannt dasitzenden Frau, ließ seine Finger sacht über ihren Handrücken tanzen, umschloss ihr Handgelenk und beugte sich noch ein wenig weiter vor, bis seine Wange fast an ihrer lag. Er flüsterte etwas in ihr Ohr, und sie errötete wie ein Schulmädchen. Dann kicherte sie und gab ihm einen nicht anders als zärtlich zu nennenden Klaps. »Also gut«, sagte sie mit hoher Stimme. »Sie haben mich überredet.« Sie erhob sich ein wenig unsicher. Raoul bot ihr seinen Arm, den sie mit einem erneuten Kichern annahm.
Karla stand auf, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und verschluckte sich beinahe. Raoul führte die Kuratorin zur Tür und warf Karla einen nicht anders als frech zu nennenden Blick zu. Sein Grinsen entblößte einige Zähne mehr als schicklich war, und seine schillernden Augen warfen das Licht zurück wie Katzenaugen. Er bewegte sich sogar anders, geschmeidiger, lässiger.
»Verdammt, Brad«, sagte Karla leise und griff hastig nach ihrem Rucksack. »Das darf doch nicht wahr sein!«
Sie ging mit raschen, wütenden Schritten hinter den beiden anderen her. Wie konnte Raoul das zulassen? Sein »Mitarbeiter« griff auf unzulässige Art und Weise in die Ermittlungen ein und beeinflusste die Zeugen. Karla freute sich auf die Gelegenheit, ihrem doppelgesichtigen Partner gründlich die Leviten zu lesen.
Der Raum, in dem die Sammlung untergebracht war, war nicht sonderlich groß und fensterlos. Dr. Gernhardt erklärte, wo der Wachmann gelegen hatte, deutete die Größe der Blutlache an und bat dann, sich ein wenig an die frische Luft entfernen zu dürfen, ihr sei übel.
Raoul – nein, Brad – begleitete sie hinaus, und in der kurzen Zeit, die sie allein im Raum war, tastete Karla mit ihrem siebten und achten Sinn die Energielinien ab, die ihn wie ein Spinnennetz durchzogen. Glitzernde blaue und grüne Fäden zogen sich vom Fundort der Leiche zu einem Tisch in der Nähe und von dort zu einer leeren Glasvitrine, einem geschnitzten Lesepult und weiter zu zwei entgegengesetzt stehenden Bücherregalen.
Karla schloss die Augen und nahm den neunten Sinn dazu, nachdem sie ihre eigene und die Energiesignatur ihres Partners routinemäßig ausgeblendet hatte. Sie spürte die Echos der Schwingungen, die der Tod des Werwolfs im Gewebe der Realität verursacht hatte. Da war ein Nachhall von Schmerz und Angst, da war der Tod wie eine schwere, dunkle Wolke. Und sonst war dort – nichts.
Das konnte nicht sein. Karla öffnete die Kanäle der Wahrnehmung noch etwas weiter und dankte dem Schicksal dafür, dass sie ihr Depot an Sheldrake-Energie so großzügig aufgestockt hatte, denn die lief nun wie Wasser aus einem Sieb aus ihr heraus. Zehnter Sinn. Ebene fünf der Wahrnehmung. Die Umrisse der Gegenstände im Raum verblassten, nur noch das Netz aus Energielinien und das langsame Pulsieren von Feldern blieben sichtbar. Karla musste sich daran erinnern, dass ihre Lungen weiteratmen, ihr Herz
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