Last days on Earth
Menschen.«
Sie folgten Horace, der in straffer Haltung voranging, durch eine
Flucht von Räumen, bis er ihnen mit einer stummen kleinen Verbeugung die Tür
zur Bibliothek öffnete. Raoul liebte diesen Raum. Auch hier gab es ein groÃes
Kaminfeuer, dessen sanftes Licht auf goldgeprägten Buchrücken spielte, altes
Leder schimmern lieÃ, Reflexe auf dunklem, polierten Holz hervorrief und sich
am entferntesten Ende des Raumes in den dichten weinroten Samtvorhängen des
Fensters verlor. Es roch anheimelnd nach alten Büchern und Tabak.
»Schön«, murmelte Karla. Ihr Blick glitt über die Bücherwände und
fiel dann auf den Hausherrn, der reglos vor dem Kamin kauerte. Die Flammen des
Feuers spiegelten sich in seinen violetten Augen und fanden ein Echo in der
düsteren Glut, die in seinen Nüstern glomm.
Raoul spürte, wie sich ihre Schulter unter seinem Griff kurz
verspannte und dann wieder lockerte. »Guten Tag«, sagte sie. »Danke, dass ich
mitkommen durfte. Ich freue mich, Sie endlich kennenzulernen.«
Der Drache fixierte sie. Einen Sekundenbruchteil bevor sein
Schweigen unhöflich geworden wäre, erwiderte er: »Das Vergnügen ist auf meiner
Seite. Nehmen Sie Platz, Frau van Zomeren.«
Karla lieà sich in dem angebotenen Sessel nieder. Es war ihr
anzusehen, dass sie noch nie zuvor so nahe an einen Vertreter dieser Spezies
herangekommen war. Drachen mischten sich nicht unters gemeine Volk. Raoul war
sich recht sicher, dass sie Menschen verachteten, wenn nicht sogar
verabscheuten. Aber man musste seine Opfer schlieÃlich nicht lieben, um sie
ausnehmen zu können.
Die kugeligen Drachenaugen richteten sich auf Raoul. »Du siehst
erbärmlich aus«, sagte Quass. »Sie hätten besser auf ihn achten sollen, junge
Frau.«
»Ich bin gestern angeschossen worden«, erwiderte Raoul schnell, denn
er sah, wie der Zorn in Karlas Augen aufblühte. »Wir wissen nicht, ob sie uns
umbringen oder nur einschüchtern sollten.«
Quass stützte das lange Kinn auf eine Klaue. Die andere spielte mit
einem Collier aus Smaragden und Brillanten. »Was wollt ihr trinken?«, fragte
er.
Raoul hörte, wie Karla nach Luft schnappte. Die scheinbare
Gleichgültigkeit des Drachen schien sie zu empören. Raoul warf ihr einen Blick
zu, schüttelte sacht den Kopf. »Ich hätte gerne einen Tee«, sagte er.
»Das dürfte passen«, erwiderte Quass. »Wie ich Horace kenne â¦Â«
Die Tür schwang auf, und ein Teewagen voller Gurkensandwiches,
frisch gebackener Scones, Sahne sowie Kannen mit Earl Grey und Assam-Tee
klingelte herein.
Nachdem sie sich gestärkt hatten, stopfte Quass sich mit
erstaunlichem Geschick eine Pfeife, die er dann mit einem gezielten Schnaufer
in Brand setzte.
»Ein rauchender Drache hat so etwas ⦠Ãberflüssiges«, sagte
Raoul und grinste. »Warum stopfst du dir den Tabak nicht gleich in die Nase?«
»Habe ich probiert«, erwiderte Quass würdevoll. »Von der Asche muss
ich niesen.« Er stieà ein Rauchwölkchen aus. »Also, du bist angeschossen
worden. Es war aber allem Anschein nach nicht gerade ein Volltreffer.«
»Doch«, erwiderte Raoul. »Schulter. Steckschuss. Ich habe eine Menge
Blut verloren.«
»Du machst Witze.« Quass lenkte seinen intensiven Blick auf Karla.
»Ich hatte Angst um ihn«, sagte sie. »Es sind schon Menschen an
geringfügigeren Verletzungen gestorben. Blutverlust, Schock â¦Â«
Quass knurrte. »Zeig mir die Wunde«, befahl er.
Raoul lächelte schwach. Gelegentlich ging die Drachennatur mit
seinem sonst so kultivierten Freund durch. Er knöpfte das Hemd auf und
schlüpfte aus dem Ãrmel. Der Drache beugte sich vor und berührte vorsichtig mit
einer scharfen Kralle die frische Narbe. »Gestern?«
Raoul lehnte sich zurück und schloss die Knöpfe wieder. »Kurz nach
Mitternacht.«
»Wer?«
»Ein Mensch, ein Wurdelak und ein nicht identifizierter Untoter oder
Nichtmensch mit Maschinengewehr.«
»Wurdelak?« Quass legte die Pfeife behutsam auf die Kamineinfassung
und griff nach der Teekanne. »Wer in dieser Stadt hat einen Wurdelak in seinen
Diensten?«
»Ich dachte, dass du uns da vielleicht weiterhelfen kannst.« Raoul
streckte die Beine aus. »Und dann brauche ich noch deine Hilfe in Sachen
Felsenstein.«
Quass hob abwehrend eine Klaue. Mit der anderen
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