Last days on Earth
»Winter«, sagte er. »Ich habe
eine Leiche für euch.« Er gab den Ort durch und beschrieb kurz, was sie
vorgefunden hatten. »Ich habe am Tatort leider schon herumgepfuscht«, sagte er
dann. »Bringt einen Rekonstrukteur mit.« Er lauschte, runzelte die Stirn,
knurrte: »Ja, ich warte auf euch«, und schaltete das Telefon aus.
»Danke«, sagte Karla, erleichtert, dass ihr die Konfrontation mit
ihren ehemaligen Kollegen erspart blieb.
Raoul biss sich auf die Wange, dann griff er wieder zum Telefon.
»Tora?«, sagte er. »Wir haben ein Problem.«
Karla hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie trampelten hier auf dem
Tatort eines Mordes herum, aber sie waren Ermittler. Sie hätten es besser
wissen müssen.
Raoul beendete das Gespräch und deutete zur Tür. »Hau ab«, sagte er.
»Fahr nach Hause! Ich komme nach.«
Karla zögerte. Sie war nicht scharf darauf, die Fragen der Ermittler
beantworten zu müssen. Aber sie wollte Raoul auch nicht im Stich lassen. »Wie
kommst du nach Hause?«
Er schob sie zur Tür. »Ich nehme ein Taxi oder lasse mich fahren.«
Er zögerte, beugte sich zu ihr und gab ihr einen schnellen Kuss. »Geh! Es ist
einfacher für mich, wenn du gar nicht erst dabei warst.«
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12. 19. 19. 12. 14.
Der einsetzende Herbst brachte nur tote Spuren,
frustrierende Recherche und langweilige Materialsichtungen mit sich. Sie
wussten nicht, warum dieser Mann ihnen ein Killerkommando auf den Hals gehetzt
und wer ihn dann ermordet hatte.
Der Zentralen Magischen Aufklärung war es immerhin gelungen, die
Identität des Ermordeten herauszufinden, aber damit war der Fall zu den anderen
ungeklärten Fällen ins Archiv gewandert. Es gab Wichtigeres, als den Mord an
einem unbedeutenden Dealer, Schmuggler und Glücksspieler zu klären.
Am Tag des Balls saÃen sie in Raouls Arbeitszimmer und kauten zum
x-ten Mal die Fakten durch. Karla kritzelte ein Blatt Papier voll und starrte
zwischendurch geistesabwesend aus dem Fenster. Raoul, der einen Stapel Notizen
vor sich liegen hatte, die er akribisch durchging, räusperte sich gereizt.
»Noch mal zurück zu deinem Informanten«, sagte er unvermittelt. »Wo hast du ihn
kennengelernt?«
Karla gähnte. Sie rieb sich über die Augen, fuhr mit beiden Händen
durch die Haare und streckte sich. »Sonny? Einer unserer V-Kobolde hat mir den
Tipp gegeben.«
»Hm«, machte Raoul unzufrieden und hakte etwas ab.
Karla stützte die Ellbogen auf den Tisch und sah ihn an. »Das hast
du mich jetzt schon dreimal gefragt, Langer«, sagte sie. »Was ist los?
Altersbedingte Ausfallerscheinungen?«
Raoul erwiderte ihren Blick nicht. Mit finsterer Miene sortierte er
weiter die Notizen vor sich. Karla wartete.
SchlieÃlich seufzte sie und lehnte sich zurück, um wieder aus dem
Fenster zu blicken. Ihre Finger schabten sacht über die Narben ihrer Armbeuge.
Es war Zeit. Morgen, spätestens übermorgen war ein Termin mit Maurizio fällig.
»Wenn das Gespräch mit Felsenstein auch nichts bringt, steige ich aus«, sagte
sie. »Wir vergeuden unsere Zeit.«
Raoul hob den Kopf. »Und der Weltuntergang?«
Karla verzog das Gesicht. »Manchmal frage ich mich, ob wir einem
Hirngespinst nachjagen. Erinnerst du dich an all die Katastrophen, die zum
Jahrtausendwechsel über uns hereinbrechen sollten? Das morphische Feld war
damals so stark, dass die Zahl der Vulkanausbrüche, Erdbeben, Stürme und
technischen Katastrophen wirklich messbar angestiegen ist. Als die Welt dann
nicht unterging, war alles wieder friedlich.«
Raoul starrte sie an. »Das war etwas völlig anderes. Du selbst hast
mich davon überzeugt, dass dieses Ding hier schon seit Jahrzehnten vorbereitet
wird.« Er griff nach einem der Ordner, schlug ihn auf und hielt ihn Karla unter
die Nase. »Da. Die neuesten Meldungen. Ein Hurrican hätte um Haaresbreite New
York zerstört. Wenn die vereinigten Hexen und Magier der USA sich nicht an der Ostküste versammelt und dafür gesorgt hätten, dass das Ding
abdreht, dann wäre die Apokalypse dort schon heute Vergangenheit. In Paris
brennen die Banlieues, Vandalen haben den Louvre gestürmt und unschätzbare
Werte vernichtet. Rund um den Globus geht die Post ab. In den USA muss inzwischen das Militär der Polizei beistehen,
damit sie die Ausschreitungen in den Griff bekommen. Russland hat seine
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