Last days on Earth
Grenzen
geschlossen und Italien vor ein paar Stunden den Ausnahmezustand ausgerufen!«
Karla wandte den Blick ab. »Ja, sicher«, sagte sie müde. »Raoul, ich
weià einfach nicht weiter. Mein Konto ist leer, ich bin nach wie vor ohne Job
und müsste mich dringend um mein Leben kümmern.«
»Na, dann freu dich doch. Wahrscheinlich brauchst du dir über das
nächste Jahr keine Gedanken mehr zu machen«, knurrte Raoul und warf den Ordner
auf den Tisch. Er sprang auf und ging hinaus.
Bis zum Abend gingen sie einander aus dem Weg. Karla lag auf
ihrem Bett und lieà die Gedanken wandern. Es war still unter dem Dach. Die kaum
jemals abreiÃende Geräuschkulisse des Autoverkehrs nahm sie schon seit Jahren
nicht mehr bewusst wahr. Auf dem Dach kratzten VogelfüÃe, eine Taube gurrte.
Auf dem Speicher nebenan raschelte etwas â Mäuse? â, und gelegentlich hörte
Karla, dass etwas leise summte oder klickte. Sie versuchte, das Geräusch
einzuordnen, aber noch während sie darüber nachdachte, schlief sie ein.
Es war dunkel im Zimmer, als die Türklingel sie weckte. Sie fuhr
hoch, einen Augenblick lang orientierungslos. »Ja?«, rief sie und kämpfte sich
hoch. »Was ist?«
»Bist du angezogen?«, kam gedämpft die Antwort.
Karla hockte auf der Bettkante und schüttelte die Benommenheit ab.
»Wie viel Uhr ist es?« Sie stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung zur
Tür. Raoul stand im Flurlicht, und Karla starrte ihn benommen an. »Wow!«, sagte
sie dann. »Ich bin geblendet. Treten Sie ein, edler Magus.«
Raoul lieà das Monokel aus dem Auge fallen, klemmte den Zylinder in
die Armbeuge und grinste. »Du siehst auch entzückend aus, Holdeste. Aber ich
fürchte, der gestrenge Horace wird dich so nicht einlassen.« Er bürstete mit
einer affektierten Handbewegung über das seidenglänzende Revers seines Fracks
und rümpfte die Nase.
Karla lachte und winkte ihm, er solle sich setzen. Sie verschwand im
Bad. »Ich hab verschlafen«, rief sie. »Aber keine Sorge, ich bin schnell.«
»Das hoffe ich.« Sie hörte, wie Raouls Stab gegen ein Möbelbein
klopfte. »Ein wenig Verspätung ist aber in Ordnung, dann erzielen wir den
gewünschten groÃen Auftritt.«
Karla pfiff vor sich hin, während sie sich ankleidete und frisierte.
»Raoul?«, rief sie. »Seit wann trägst du Augengläser?«
Sie hörte sein tiefes Lachen. »Eine kleine VorsichtsmaÃnahme. Das
Monokel ist aus Elfenkristall.«
Karla löschte das Licht im Bad und trat ins Wohnzimmer. Raoul stand
neben der Tür und sah ihr entgegen. Er machte eine groÃartige Figur im Frack.
Sein sauber gestutzter schwarzer Bart glänzte über der blendend weiÃen
Hemdbrust, die Weste saà ohne ein Fältchen, er trug Handschuhe und auf
Hochglanz polierte Lackschuhe. Wenn er einen Umhang getragen hätte, wäre der
Bilderbuchmagier perfekt gewesen.
Sein Blick ruhte dunkel und glühend auf ihr. »Du siehst hinreiÃend
aus«, sagte Raoul und machte einen Schritt auf sie zu, um ihre Hand an seine
Lippen zu heben.
»Du auch«, erwiderte sie.
An der Tür fiel Karla ein, dass sie etwas vergessen hatte. »Unsere
Eintrittskarte«, rief sie. »Raoul, das Collier!«
Er grinste, hob seinen Zylinder, zeigte ihr, dass er leer war,
drehte ihn um, klopfte mit dem Stab dagegen und die glitzernde Halskette fiel
in Karlas Hände. »Du bist ein Spinner«, schimpfte sie.
Raoul nahm das Collier an sich und legte es ihr an. »Jetzt aber
los«, sagte er. »Die Kutsche wartet.«
»Elfenkristall«, sagte Karla. Sie hatten auf der Fahrt ihr
Vorgehen besprochen, sie würden weitgehend improvisieren müssen. Keiner von
ihnen wusste, wie dieser Norxis von Felsenstein auf sie reagieren würde.
»Ja?«, fragte Raoul und schloss den Jaguar ab. Er öffnete den
Kofferraum und zog ein weiÃgefüttertes Cape heraus, das er sich um die
Schultern legte, und komplettierte das Ganze mit einem weiÃen Seidenschal.
Karla gluckste.
Er folgte ihrem Blick und hob eine Braue. »Wenn schon theatralisch,
dann richtig.«
»Das machst du nur, damit Horace sich freut.«
»Richtig.« Er reichte ihr den Arm. »Was wolltest du wissen?« Er
klemmte das Monokel ins Auge und sah sie starr an.
»Das Ding da. Was bewirkt es?«
Er lieà es fallen und rief den Aufzug. »Ich
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