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Last days on Earth

Last days on Earth

Titel: Last days on Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Geschäftsmanns.
Dies war einer der Momente, in denen sie ihn von Herzen liebte. Sie kniete sich
neben ihn und nahm seine Hand. »Ich weiß es nicht«, sagte sie.
    Er neigte den Kopf und musterte sie. »Pass auf dich auf.«
    Â»Du auch.« Sie nahm sein Gesicht zwischen die Hände und küsste ihn.
Dann stand sie auf, holte die Kerzen und stellte sie um den Kreis. Eine
beiläufige Handbewegung, und sie brannten. Karla trat in den Kreis, schloss die
unterbrochene Linie mit einem sorgfältigen Strich und stellte sich ins Zentrum.
Eine Sekunde lang fürchtete sie, das Feld nicht anzapfen zu können – sie griff
danach und fand die alten Bahnen immer noch verschlossen –, aber dann floss die
Energie schon beinahe ohne ihr Zutun durch ihren Körper und lud sie so schnell
auf, dass es sie wie eine kräftige Windböe schüttelte. Das morphische Feld war
ungeheuer stark, viel stärker, als es normalerweise sein durfte, selbst in
einer so großen Stadt. Karla verdrängte die Sorge, bündelte das Feld und
schickte es wie einen Pfeil hinaus. Die Energie straffte sich, und als der
Zauber sein Ziel erreicht hatte und dort wie mit Widerhaken haften blieb, riss
ein Energieseil Karla aus dieser Schicht der Realität hinüber ins
Zwischenreich, zerrte sie schnell wie ein Blinzeln durch den Æther und ließ sie
am Ziel ankommen – außer Atem, ein wenig zerrupft und desorientiert, aber
gesund und in einem Stück. Nicht, dass sie vorher davon überzeugt gewesen wäre.
Solch einen Transport hatte sie noch nie zuvor probiert, und es hätte ebenso
gut scheitern können.
    Sie versuchte einen Moment lang, wieder zu Atem zu kommen, und
prüfte währenddessen ihren Körper auf Vollständigkeit und ihren Geist auf
unerwünschte Eindringlinge. Die Prüfung fiel zu ihrer Zufriedenheit aus, ihr
Atem ging wieder normal, also blickte sie auf und orientierte sich. Die
Zielgenauigkeit ihres unerprobten Zaubers entlockte ihr ein erfreutes Lächeln.
Sie stand im trüben Tageslicht vor Raouls Haus. Unter ihren Füßen war
Schneematsch, die Äste der Bäume waren winterlich kahl, und ein feuchtkalter
Wind pfiff durch die Straße und ihre dünnen Kleider und ließ sie erstarren.
Nach der schwülen Hitze, unter der sie vor ein paar Atemzügen noch gestöhnt
hatte, war der Kontrast zu den winterlichen Temperaturen umso erschreckender.
Karla klaubte mit klammen Fingern hastig ihre Schlüssel aus der Tasche und
rettete sich in den Hausflur.
    Sie lief die Treppe hinauf, drückte einmal kurz auf die Türklingel
und wartete einen Moment, ehe sie den Schlüssel ins Schloss schob. Sie wollte
Raoul nicht dadurch zu Tode erschrecken, dass sie plötzlich unangemeldet in
seiner Wohnung stand. Falls er überhaupt zu Hause war – denn von drinnen war
kein Mucks zu vernehmen.
    Sie schloss die Tür hinter sich und stand in der dunklen Diele. Aus
keinem der Zimmer drang Licht oder ein Geräusch. Karla stellte ihren Rucksack
unter die Garderobe und schob die Tür zum Wohnzimmer auf.
    Sie hörte die Bewegung, aber bevor sie sich umdrehen konnte, hatte
sie jemand von hinten gepackt und drückte ihr die Luft ab. Karla wehrte sich
gegen den Griff, trat und boxte nach hinten und traf auf Widerstand. Der
Angreifer ächzte und verstärkte seinen Druck um ihren Hals. Etwas Spitzes
bohrte sich in ihre Nierengegend, während sein hastiger Atem über ihre Wange
strich.
    Karla hörte auf, sich zu wehren, und ließ ihre Muskeln schlaff
werden. Der Mann lockerte überrascht seinen Griff, und sie packte seinen Arm
und verdrehte ihn. Sie hörte, wie etwas zu Boden klirrte und der Angreifer
aufstöhnte. Das schwache Licht, das durch einen Spalt der zugezogenen Vorhänge
hereinfiel, glitt über sein Gesicht, ehe er neben dem Messer, mit dem er sie
bedroht hatte, zu Boden krachte.
    Karla fluchte, betätigte den Lichtschalter und kniete hastig neben
ihm nieder. »Raoul«, sagte sie. »Verdammt, du Idiot!«
    Er stöhnte wieder und kroch von ihr weg. Sein Gesicht war verzerrt
vor Schmerz und Panik. »Nein«, stammelte er. »Nein, bitte nicht, nein …«
Er zog sich an einem Stuhl hoch und flüchtete zur Tür des Arbeitszimmers.
    Â»Raoul!«, rief Karla, »Sieh mich an! Ich bin es, Karla!« Sie setzte
ihm nach und griff nach seiner Schulter. Er fuhr herum, schlug blind nach ihr.
    Karla duckte sich,

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