Last days on Earth
wandte sich unwillkürlich um, aber die beiden Skulpturen waren
noch an Ort und Stelle. Er atmete auf.
»Drei Bücher«, sagte der Drache betrübt. Raoul brummte mitfühlend.
Quass liebte viele Spielarten der Kunst, aber für alte Bücher brannte er.
»Ist eingebrochen worden?« Es war kaum vorstellbar, dass jemand hier
oben einbrach â und dann nur ein paar Bücher mitnahm. Wie alle Drachen hatte
Quass eine Schwäche für Gold und Geschmeide und verschloss derlei Kostbarkeiten
nicht in einem Safe, wo er sie nicht sehen und berühren konnte, sondern lieÃ
sie herumliegen. Auch jetzt, wo sie vor dem Feuer saÃen, lieà der Drache ein
üppiges Collier aus Rubinen und Diamanten wie eine Gebetskette durch seine
Krallen gleiten.
»Ich hatte die Bücher zu einem Restaurator gegeben«, erklärte Quass.
Die Kette klickte, und die geschliffenen Steine warfen funkelnde Reflexe auf
seine wie Schmetterlingsflügel schimmernden Schuppen. Der Effekt war so
zauberhaft, dass Raoul Mühe hatte, seinen Blick davon loszureiÃen.
»Und dort ist eingebrochen worden?«
Quass zuckte die Schultern. »Er verwahrt die Bücher in einem Safe.
Der Safe war unberührt, es gab keine Zeichen für ein gewaltsames Eindringen.«
Raoul lachte. »Dann weià ich, wer deine Bücher hat â der
Restaurator.«
Quass lachte nicht. Er seufzte. »Edwin ist ein alter, ein sehr alter
Freund. Er würde mich nicht bestehlen und belügen â und wenn er es täte, dann
würde er es klüger anstellen. Nein, Raoul. Das war ein raffinierter Diebstahl,
und die Methode â¦Â« Er lieà den Satz in der Schwebe und warf Raoul einen
vielsagenden Blick zu.
»Hm. Du glaubst, dass dabei Magie im Spiel war.«
»Das glaube ich nicht â das weià ich.« Der Drache beugte sich vor
und legte ein Holzscheit ins Feuer. Die Flammen tanzten über seine fünffingrige
Klaue, die er so geschickt benutzte wie eine menschliche Hand. »Es stank dort
förmlich nach Magie. Ich konnte sie riechen, schmecken, fühlen.«
»Verdammt«, sagte Raoul aus tiefstem Herzen.
Beide schwiegen und blickten ins Feuer.
»Was waren es für Bücher?«, fragte Raoul nach einer Weile.
Quass winkte ab. »Es ist nicht dein Problem«, sagte er. »Sie werden
schon wieder auftauchen.«
Raoul setzte sich auf und rieb sich kräftig mit den Handballen über
die Augen. »Erzähl schon. Es kann sein, dass es doch mein Problem ist.«
Der Drache musterte ihn fragend, zuckte dann die Schultern. Seine
Flügel rieben sich mit einem papierenen Geräusch aneinander. »Das wertvollste
Stück ist ein Buch aus dem sechzehnten Jahrhundert«, sagte er. »Die anderen
beiden waren eine Schrift und ein Traktat aus dem ausgehenden siebzehnten
Jahrhundert. Es sind Sammlerstücke.«
»Erzähl mir etwas über die Bücher.« Raoul beugte sich vor und
verschränkte die Hände vor den Knien.
»Les Propheties de M. Michel Nostradamus«, sagte Quass. »Ein
wirklich interessantes und kostbares Werk. Das zweite ist ein Büchlein über die
Prophezeiungen der Mother Shipton, das ich bei einem Bouquinisten in Edinburgh
gefunden habe. Er wusste damit nichts anzufangen, und es war in einem sehr
schlechten Zustand, deshalb habe ich es günstig erstehen können. Und das dritte
ist ein Traktat über die Visionen des Egger Gilge. Frühes 18. Jahrhundert. Das
ist wirklich nicht mehr als eine Kuriosität, aber ich sammle solche
Prophezeiungen, und deshalb schmerzt der Verlust mich doch sehr.«
Raoul schüttelte den Kopf. »Langsam«, sagte er. »Quass, ich stehe im
Moment ohne meinen Mitarbeiter da. Also, Nostradamus sagt mir etwas. Die
Bücher, die du vermisst, handeln somit alle von Weltuntergangsprophezeiungen?«
Der Drache senkte bestätigend den Kopf.
Raoul lachte unwillkürlich auf. »Meine Partnerin von der MID führt ein Weltuntergangsalbum«, sagte er. »Was ist so
faszinierend an diesem Zeug, alter Freund? Erklär es mir.«
Der Drache lieà ein nachdenkliches Rauchwölkchen zur Decke steigen.
»Natürlich, wenn man es wissenschaftlich betrachtet, dann sind all diese
Theorien und Vorhersagen nichts als Auswüchse einer kranken Fantasie. Aber da
ist ein urzeitlicher, mit den Mächten des Bösen und finsteren Göttern
vertrauter Drache ganz tief in meinem Inneren, und der glaubt
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