Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Last days on Earth

Last days on Earth

Titel: Last days on Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
Vom Netzwerk:
etwas sagen konnte, stand sie mit dem Kobold
draußen auf der Treppe. Ihre Gedanken wirbelten wie die Schneeflocken in einer
Glaskugel. Perfido hatte etwas mit ihr angestellt. Er hatte sie beeinflusst,
aber mit welchem Ziel? Sie musste sich gleich morgen einer Tiefensondierung
unterwerfen. Das war unangenehm, aber notwendig.
    Karla ließ sich nach Hause fahren. Sie hatte nicht den Nerv, sich
auch noch Christopher zu stellen. Perfidos Worte saßen wie giftige Stacheln in
ihrem Herzen. Geschätzter alter Freund. Verdammt, was hatte Kit ihr sonst noch
verschwiegen?

 

    12. 19. 19. 03. 19.
    Raoul erwachte mit einem Ruck. Eine Weile blieb er reglos
liegen, bis er wieder wusste, wer er war. Wo er war. Was er hier in diesem Bett
zu suchen hatte. Sein Kopf dröhnte, die Zunge lag dick und pelzig in seinem
Mund.
    Die Erinnerungen kamen langsam, bruchstückhaft zurück. Horace, der
Butler des Drachen, hatte ihn zum Aufzug gebracht, der vom Foyer des Gebäudes
direkt in die große Empfangsdiele Quass von Deyens führte.
    Er war nicht nach Hause gegangen. Die frische Nachtluft hatte den
Nebel vertrieben, den der exzellente Cognac um seine Sinne gelegt hatte. Deshalb
hatte er kurz entschlossen zum Telefon gegriffen und eine Nummer gewählt.
    Als die tiefe, ein wenig raue Stimme sich meldete, sagte er: »Hast
du Zeit für mich, Tora-san?«
    Â»Raoul, es ist mitten in der Nacht. Du solltest im Bett liegen und
schlafen.«
    Â»Du schläfst auch nicht, Roshi.«
    Â»Ich bin ein Nachtvogel, das weißt du doch. Sonst hättest du wohl
kaum die Unverfrorenheit besessen, mich um diese Zeit noch anzurufen.« Sie
schwieg einen kurzen Moment. »Komm vorbei. Ich freue mich.« Es knackte, die
Verbindung war unterbrochen.
    Tora-san, Großmeisterin des Schwarzen Zweiges und Raouls erste
und einzige Lehrerin der dunklen Künste, lebte in einem spartanisch
eingerichteten kleinen Haus in einem der Nichtmenschenviertel am Rande der
Stadt.
    Der Taxifahrer hatte ihn zuerst nicht dorthin fahren wollen, aber
Raoul hatte den Fahrpreis vorab entrichtet und noch ein gutes Trinkgeld
versprochen, wenn er heil und einigermaßen flott ans Ziel gelangte.
    Während der Fahrt dachte er über Quass und die gestohlenen Bücher
nach. Und darüber, was der Drache ihn zum Schluss gefragt hatte. Liebesleben?
Wenn man es genau nahm, dann besaß er keins. Brad war in der letzten Zeit der
Einzige, der hin und wieder eine Frau nach Hause brachte.
    Raoul starrte zum Fenster hinaus. Seit einigen Jahren war sein Leben
ein einziger Kampf darum, wer die Oberhand besaß. Schritt für Schritt,
Millimeter um Millimeter verlor er dabei an Grund. Schleichend. So langsam,
dass ihm, außer in Momenten wie diesem, kaum auffiel, was er alles schon hatte
aufgeben müssen. Ab jetzt ging es nur noch darum, wie lange er noch Herr seiner
Sinne, seines Körpers, seiner Existenz sein würde. Den eigentlichen Kampf hatte
er längst verloren.
    Â»Wir sind da!« Die Ungeduld in der Stimme des Taxifahrers ließ
erkennen, dass er diesen Satz schon mehrmals gesagt haben musste. Raoul
schreckte hoch. Sie standen wirklich vor Toras Grundstück, und wie immer war
die Straße vollkommen unbeleuchtet. Nur die Scheinwerfer des Taxis strahlten
ein Stück Straße an. Raoul meinte, in der Dunkelheit jenseits des Lichtkegels
rötliche Augen glühen zu sehen. Hatte Tora nicht erwähnt, dass eine
Werwolffamilie ins Haus nebenan eingezogen war?
    Raoul beugte sich vor und reichte dem Mann das versprochene
Trinkgeld. »Holen Sie mich in einer Stunde wieder ab?«
    Â»Nee, ich hab jetzt Feierabend«, erklärte der Fahrer hastig. Es war
deutlich zu sehen, dass er log. Raoul winkte ab und stieg aus.
    Â»Sehr elegant, mein Lieber. Ich bin angemessen beeindruckt«,
empfing ihn Toras Stimme, als er den Hausflur betrat. Die Tür hatte wie immer
offen gestanden, und aus dem Zimmer fiel warmes Kerzenlicht auf den matt glänzenden
Holzboden. Raoul lächelte, hängte seinen Hut an die Garderobe und zog die
Schuhe aus. »Du kannst mich von dort gar nicht sehen«, rief er.
    Sie lachte. »Richtig. Aber wenn du so spät unterwegs und ein
bisschen angeheitert bist, warst du aus. Ergo: elegant.«
    Er zog den Kopf ein und trat über die Schwelle. Die Tür war niedrig,
die Decken hingen tief, aber Tora-san war, obwohl sie für eine Japanerin sogar
etwas über dem Durchschnitt lag, keine

Weitere Kostenlose Bücher