Last days on Earth
Pferdeschwanz neu und ging zur Tür.
Karla sah so übernächtigt aus, wie er sich fühlte. Sie warf einen
Seitenblick auf sein Räuberzivil, und ihre Mundwinkel zuckten. »Habe ich Sie
aus dem Bett geholt? Das tut mir leid.«
»Kein Problem«, sagte er. »Kaffee?« Er hielt ihr die Tasse hin.
»Darf ich mich setzen?«
Er zuckte die Schultern und wies auf die Tür zum Wohnzimmer.
Karla ging voraus. Er hörte sie lachen. Dann folgte er ihr und sah
den vollgestellten Tisch und den ohne Ton laufenden Fernseher (ein
Nachrichtenkanal). Neben dem Sessel standen leere Flaschen, auf der Armlehne
ein überquellender Aschenbecher (Brad rauchte wie ein Schlot, darin war er Tora
ähnlich), auf dem Tisch lagen zwischen Zeitungen und zerknüllten Chipstüten die
Reste eines chinesischen Take-away-Essens und ein umgekipptes Glas, aus dem
Rotwein auf den Teppich geflossen war.
Raoul seufzte. Das erklärte seinen Brummschädel.
»War es eine nette Party?«, fragte Karla süffisant.
Raoul knurrte und machte den Fernseher aus. »Setzen Sie sich«, sagte
er schroff. »Was wollen Sie von mir?«
Karla wählte die breite Ottomane, die vor dem Fenster stand, und
lieà sich mit einem kleinen Schnaufen hineinsinken. »Der Kaffee ist gut«, sagte
sie in versöhnlichem Ton. »Und danke, dass Sie Zeit für mich haben.«
Er nickte steif und setzte sich ihr gegenüber in einen Sessel.
Karla starrte in ihre Tasse, als wollte sie aus dem Kaffeesatz
lesen. »Ich brauche jemanden, der sich auf der dunklen Seite auskennt«, sagte
sie unvermittelt. »Vor ein paar Wochen hätte ich in so einem Fall Fokko
angerufen, aber â¦Â« Sie sah auf und begegnete seinem Blick. »Wir sind
Partner«, sagte sie, und es klang defensiv und ein wenig wütend. »Ich brauche
einen Rat. Wenn wir zusammenarbeiten wollen, müssen wir uns bis zu einem gewissen
Grad auch vertrauen können â¦Â« Ihre Stimme verklang. Ihr Mienenspiel zeigte
Abwehr, Zorn, Misstrauen, Ratlosigkeit.
Als Raoul nichts erwiderte, weil er nicht wusste, was er sagen
sollte, stellte sie ihre Tasse mit einem Knall auf den Tisch und stand auf. »Es
war eine dumme Idee. Entschuldigen Sie die Störung.«
Er sprang auf und hielt sie fest. »Ich muss mich entschuldigen«,
sagte er. »Ich bin es nicht mehr gewöhnt, mit jemandem zusammenzuarbeiten.
Meine Manieren sind wohl nicht die besten.« Er lächelte, und das schien sie zu
überraschen. Sie blinzelte zweimal, nickte dann kurz und wortlos.
Er schob sie wieder auf die Ottomane. »Es ist gut, dass Sie da
sind«, sagte er. »Ich habe einige neue Informationen über unseren Fall, die Sie
interessieren werden. Aber zuerst sind Sie an der Reihe.«
Karla blickte unschlüssig auf ihre Tasse. Dann hob sie den Kopf,
atmete tief ein und sagte: »In Ordnung. Könnte ich vorher noch einen Kaffee
bekommen?«
Â
12. 19. 19. 04. 00.
Karla beugte sich über die Fotos, die sie auf dem Tisch
ausgebreitet hatte. Sie war sich der körperlichen Nähe Raoul Winters bewusst,
der mit ihr über den Bildern brütete. Er roch frisch, nach Seife und einem
dezenten Rasierwasser, aber darunter lag ein schwacher Geruch nach etwas, das
sie nicht einordnen konnte, das ihr aber Unbehagen bereitete. Karla schob es
jedoch beiseite. Ihre Nerven waren nach der Begegnung mit Perfido einfach überreizt.
Sie hatten noch eine Weile über allerlei Belanglosigkeiten geredet,
ehe Karla zur Sache gekommen war. Sie berichtete, so nüchtern, wie es ihr
möglich war, von ihrem Treffen mit Perfido und seinem möglicherweise geglückten
Versuch, sie magisch zu beeinflussen, ohne im Detail zu erzählen, worum es bei
dem Gespräch gegangen war.
Winter hörte sie schweigend an. Dann sagte er: »Ich kenne Perfido
nicht persönlich. Er ist ein Vampir?«
»Ja«, sagte Karla. »Einer der traditionellen Lichtflüchter. Soviel
ich weiÃ, rührt er sich bei Tageslicht nicht aus seinem Bau.«
Raoul fuhr nachdenklich durch seinen kurzen Bart. »Er wird seine
Attraktionskraft auf Sie angewendet haben. Ich weià nicht genau, wie das
funktioniert, aber es hat nichts mit Magie zu tun. Eher mit Pheromonen.«
Karla dachte, dass es dumm gewesen sei, mit ihrer Frage zu ihm zu
kommen, und dass sie wahrscheinlich erheblich mehr über die verschiedenen
Vampirarten und ihre Kommunikationsmethoden
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