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Last days on Earth

Last days on Earth

Titel: Last days on Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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sich.«
    Raoul war das Thema sichtlich unangenehm. »Und diese Produktion
schwächt dich?«
    Karla dachte über die Frage nach. »Nein«, antwortete sie dann
zögernd, »nicht direkt. Es wäre überhaupt kein Problem. Ich müsste nur mein
Blut und die Essentia regelmäßig einem Nachtgeborenen geben, vorzugsweise
natürlich meinem Delicatus – und dann wäre alles in Ordnung.« Sie spürte, dass
ihr Gesicht zuckte, und legte die Hand auf ihre Wange. »Ich bin nur leider das,
was sie eine › Generartrix‹ nennen. Mein
Stoffwechsel produziert riesige Mengen dieser Essentia.« Ungeheure Mengen. Kit
hatte diesen Prozess angestoßen, und der sanfte, freundliche Maurizio hatte mit
seinem Versuch, sie gut einzustellen, den Rest besorgt. Deshalb musste ihre
Produktion zu Anfang mehrmals am Tag reguliert werden, inzwischen »nur« noch
zwei- bis dreimal in der Woche. Unwillkürlich rieb sie über die Narben an ihren
Armen. Eine Generartrix war ein Schatz, den keine Gens sich durch die Finger
gleiten lassen wollte. Sie hätte eine Zimmerflucht bewohnen können, Diener, die
sie versorgten und ihr jeden Wunsch von den Augen ablasen, elegante Kleider,
jeden erdenklichen Luxus – sogar Kit. Perfido hatte ihr einen Blankoscheck auf
ein Leben in Saus und Braus angeboten, aber Karla hatte abgelehnt und war aus
der Villa geflohen.
    Raouls große Wohnung war ihr als ein Zufluchtsort erschienen, an dem
sie ein paar Tage Atem schöpfen wollte. Nun lebte sie immer noch dort, und der
rechtmäßige Eigentümer war zurückgekehrt und würde sicherlich wollen, dass sie
auszog.
    Karla hob den Blick und seufzte. »Raoul, ich ziehe natürlich sofort
aus. Wenn ich bis morgen aber noch bleiben dürfte …«
    Der Themenwechsel schien ihn unvorbereitet zu treffen. Er runzelte
die Stirn. Sein melancholisches Gesicht wurde noch länger und düsterer. »Ich
bin dir unangenehm«, sagte er. »Ich bin nicht Brad.«
    Karla schloss ihre Hand fest um sein Handgelenk. »Rede keinen
Blödsinn! Du bist mir tausendmal lieber als dein Daimon. Brad ist schwierig,
anstrengend und hat unappetitliche Angewohnheiten.« Sie lächelte schief. »Allerdings
muss ich zugeben, dass er auch sehr charmant sein kann, wenn er will.«
    Raoul zog seine Hand weg, weil er dem Kellner Platz machen wollte.
    Als sie ihren Espresso und den Grappa tranken und Raoul erst seinen
und danach ihren Nachtisch verputzte, fragte Karla: »Du hast wirklich keinerlei
Erinnerung an die letzten Monate?«
    Â»Nein«, erwiderte er kurz. »Brad und ich teilen nur wenig
miteinander. Es gibt einen Teil unseres Bewusstseins, der uns beiden gemeinsam
gehört. Dort legt Brad die Informationen ab, die für mich bestimmt sind.«
    Â»Das klingt nicht gerade nach einem guten Deal«, kommentierte Karla.
»Wäre es nicht nützlich, wenn du jederzeit auf sein Gedächtnis und seine
Erinnerungen zugreifen könntest?«
    Raoul sah sie an. »Du hast keine Ahnung. Ich habe einmal zu Beginn
unserer gemeinsamen Zeit versehentlich sein Territorium betreten.« Er
schauderte. »Davon träume ich heute noch manchmal.«
    Â»Wie hast du ihn überhaupt damals beschwören können? Du warst doch
noch feucht hinter den Ohren.«
    Jetzt griff auch Raoul zu seinem Grappa. Er roch daran, verzog das
Gesicht und kippte ihn hinunter. »Tora-san«, sagte er.
    Karla hatte inzwischen ein paarmal mit der Großmeisterin
telefoniert. Tora-san hatte es geschafft, sie zu beeindrucken und gleichzeitig
einzuschüchtern. Selbst durch das Telefon war die Wucht ihrer Persönlichkeit
deutlich zu spüren gewesen. »Ich stelle es mir schwer vor, ihr Schüler zu
sein.«
    Raoul dachte darüber nach, während er Zucker in seinen Kaffee
rührte. »Nein. Anspruchsvoll, ja. Fordernd. Ich musste immer wach sein. Sie
duldet keine Ausflüchte. Aber sie ist auch geduldig und eine gute Lehrerin. Und
ganz sicher die stärkste Magierin, die der Schwarze Zweig in seinen Reihen
hat.« Er lächelte versonnen. »Ich war damals mächtig stolz, dass sie mich
ausbilden wollte.«
    Â»Und sie hat dich mit Brad – verkuppelt?«
    Raoul trank die kleine Tasse Espresso mit einem Schluck aus. »Nein.
Sie hat mir abgeraten. Sie hat mich gewarnt. Sie hat mir gedroht, mich
rauszuschmeißen. Sie hat alle Register gezogen, um mich davon abzubringen.

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