Last Exit
sagen.
»Mischa, ich bin’s.«
»Du bist hier?«
»Im vorderen Zugteil. Bist du Francisco begegnet?«
»Ja, sehr charmant. Wie hast du mich gefunden?«
»Meinst du, dein Chef ist der Einzige, der dein Telefon überwacht? Also wirklich, Mischa.«
Er klang sehr mit sich zufrieden, also schaltete Milo ab. Er ließ das Handy auf dem Knie liegen und bemerkte, dass sie die Stadt jetzt hinter sich hatten – keine Lichter mehr weit und breit. Er ließ das Telefon siebenmal klingeln, dann meldete er sich.
»Du bist wütend«, stellte Jewgeni fest.
»Findest du?«
»Hör zu, Junge. Ich übernehme die volle Verantwortung für Adriana.«
»Wie edelmütig.«
»Trotzdem hab ich die Wahrheit gesagt. Es war mein Fehler, aber nicht meine Absicht. Sie ist davongelaufen, und dann wurde sie von jemand anders umgebracht. Von einem Touristen vermutlich.«
Milo wusste, dass er recht hatte. »Das spielt keine Rolle mehr, Jewgeni. Ich bin fertig mit dir. Ich bin fertig mit dieser ganzen Scheiße.«
Der Alte ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Wahrscheinlich überlegte er sich den besten Ansatz, um diese wertvolle Quelle nicht zu verlieren. »In Ordnung«, meinte er schließlich. »Du bist also fertig mit mir, weil ich dich im Stich gelassen habe. Aber vielleicht kann ich es wiedergutmachen. Du weißt, dass ich dir helfen kann. Was für ein Projekt hast du gerade?«
Unwillkürlich wurde Milo von Lachen geschüttelt; sein Arm pulsierte. Er musste das Telefon weglegen, bis er sich wieder im Griff hatte. Dann hielt er es erneut ans Ohr. »Entschuldige, Jewgeni. Deine Hartnäckigkeit ist einfach zum Schießen. Ich werde dir nicht verraten, was ich gerade mache.«
»Schön.« Diesen schroffen, gekränkten Ton kannte Milo aus seiner Teenagerzeit. »Sag mir nichts. Trotzdem, ich schulde dir was wegen Adriana, und das möchte ich dir zurückzahlen.«
Der Alte meinte es ernst – auch diesen Ton kannte er. Mehrere mögliche Gefälligkeiten schossen ihm durch den Kopf – Besorg mir einen neuen Job stand weit oben auf der Liste –, doch dann erinnerte er sich an die speziellen Verbindungen und das Wissensgebiet seines Vaters. »Okay, ich hätte da tatsächlich was. Beschaff mir alles über einen gewissen Xin Zhu, einen chinesischen Oberst vom Guoanbu. Ich brauch es so bald wie möglich.«
Jewgeni seufzte leise – das typische, knapp zufriedene
Ausatmen, wenn er seinen Kopf durchgesetzt hatte. »Das kann ich gerne machen, kein Problem. Aber es wäre eine Hilfe, zu wissen, wonach ich Ausschau halten soll.«
»Nach allem.« Milo schaltete wieder ab und legte das Handy auf den leeren Sitz. Nach fünf Minuten tauchte der Dunkelhäutige auf und arbeitete sich in der Gegenrichtung durch den Wagen. Das Telefon nahm er mit.
18
Um halb neun stieg er am Europaplatz vor dem Westbahnhof in Wien in ein Taxi. Er hatte weder den Dunkelhäutigen noch seinen Vater gesehen und vermutete, dass sie den Zug bereits vorher verlassen hatten.
Am Flughafen Wien erwarb er mit einer MasterCard auf den Namen Sebastian Hall ein Ticket für den nächsten Flug nach Washington, der erst am folgenden Tag um 10:50 Uhr ging. Er schlenderte hinüber zur Einkaufspassage, vorbei an Cafés, Zeitungsständen und einem Musikgeschäft, bis zur Apotheke ganz am Ende, wo er sich mit dem Geld von Erika Schwartz zwei Schachteln Nicorette kaufte. Er kaute so heftig, dass er wieder Schluckauf bekam. Dann besorgte er sich frische Unterwäsche, Socken, ein Hemd, Zahnbürste und Zahnpasta und ein Deo. Als er aus dem Flughafengebäude trat, war der Schluckauf immer noch nicht abgeklungen.
Er bekam zwar mit, wie ihm James Einner hinaus zum Shuttle-Bus folgte, der ihn zum Eurotel bringen würde, aber er ließ sich nichts anmerken. Einner stieg nicht in den Bus.
Das Zimmer war billig und klein, aber funktional. Nach einer Dusche zog er wieder seine schmutzigen Kleider an. Seinen Viertagebart rührte er nicht an, doch zwischen den kastanienbraunen Tönen fielen ihm mehrere weiße Stoppeln ins Auge. Alles sehr enttäuschend.
Als Einner eintraf, riss er keine Witze, und auch das war enttäuschend. Er marschierte an Milo vorbei und stellte eine Flasche Cabernet Sauvignon auf den Schreibtisch. Dann zog er den Vorhang ein Stück beiseite, um einen Blick auf den Parkplatz zu werfen.
»War mir jemand auf den Fersen?«, fragte Milo.
Einner schüttelte den Kopf, dann schloss er den Vorhang.
»Wie habt ihr mich da rausgeholt?«
»Frag Drummond. Ich schätze, er hat einen deutschen
Weitere Kostenlose Bücher