Last Exit
Das hieß also, dass es in diesem Hof passieren musste. Wenn überhaupt.
Jeder Tourist hat eine Vergangenheit, und Alan Drummond wusste alles über die zwei Gründe, die Milo bei einem komfortableren Budget den Zugang zum Tourismus verwehrt hätten: seine Frau und seine Tochter. Drummond war natürlich klar, dass diese scheinbar so einfache Aufgabe für ihn schwerer war als das Erstürmen der iranischen Botschaft in Moskau.
Offenbar hatte Milo mit seinem Verdacht richtig gelegen: Die Abteilung vertraute ihm noch immer nicht, und die bisherigen Aufträge hatten nur als Vorbereitung gedient, als dreimonatige Inkubationszeit vor seiner Wiedergeburt als Tourist. Ein langer Probelauf, der im neunten Auftrag gipfelte: ein Umschlag, der graue Himmel über Berlin und der Wunsch, lieber sich selbst auszulöschen, als diesen Job durchzuführen.
Hätte er keine Tochter gehabt, wäre es ihm dann leichter gefallen? Er beschloss ganz bewusst, nicht darüber nachzudenken, aber sein Gehirn ignorierte diese Absicht. Stattdessen stellte er sich die sinnlose Frage, wie viele böse Taten nötig sind, damit jemand wirklich böse ist. Sechs? Achtzehn? Nur eine? Wie viele hatte er begangen?
Was sagt die große Stimme?
Schluss.
Er musste den Grund herausfinden. Warum war Adriana Stanescu zum Tod verurteilt worden?
Er hatte rund um die Uhr gearbeitet: den Müll der Familie durchwühlt, die Kontobewegungen überprüft, eine Zeit lang die Bekannten der Stanescus beschattet. Der einzige kleine Makel, auf den er stieß, war ein Onkel namens Mihai, der in einer Bäckerei in der Nähe des Tiergartens arbeitete. Er war zweimal verhaftet worden, weil er illegal Moldawier nach Deutschland geschleust hatte. Ein Menschenschmuggler, aber eher von der unbedeutenden Sorte. Warum wäre er sonst jeden Morgen um vier aufgestanden und erst nach vier Uhr nachmittags von der Arbeit nach Hause zurückgekehrt, die Haare staubig und der ganze Körper klebrig von Mehl?
Nichts deutete darauf hin, dass die Stanescus etwas anderes waren als eine schwer arbeitende Einwandererfamilie mit einer reizenden halbwüchsigen Tochter.
Doch schon während der Nachforschungen bereitete er sich vor. Am Mittwoch besuchte er eine Kneipe in der Nähe der Zentrale von Alligator Taxi und knüpfte dort ein Gespräch mit Günter Wittinger an, einem jungen Fahrer, der erst seit einem Jahr für die Firma tätig war. Er stellte sich als jemand vor, der einen guten Rat brauchte, weil er in diesen Beruf einsteigen wollte. Auch wenn sich Radovan mokiert hatte, reichten seine Sprachkenntnisse dafür aus. Als Günter sechs Biere später auf der Toilette war, stahl Sebastian seinen Alligator-Ausweis und machte sich aus dem Staub.
Am Donnerstag – Valentinstag, wie er an den läppischen rosa Herzen in den Schaufenstern erkannte – stand der Plan. Er kannte ihn in- und auswendig. Die Methode der Ausführung und die Methode der Entsorgung. Er hatte das Werkzeug beisammen – starken Draht, Isolierband, eine große Plastikplane, eine Handsäge –, doch als der Kassierer die Sachen in eine feste Papiertüte hatte gleiten lassen, wäre er bei dem Gedanken an ihre Verwendung fast zusammengebrochen.
Er konnte zwar alle Schritte durchexerzieren, aber in Wirklichkeit war er am Ende. Er war nicht der Tourist Sebastian Hall, sondern der Vater Milo Weaver. Gegen jede Vernunft rief er bei seinem eigenen Vater an.
Es war dumm und irrational. Wenn die Stimme Gottes herausfand, dass er einem leitenden Angestellten der UN Geheimnisse zuflüsterte, war er ein toter Mann. Sogar der Alte reagierte ziemlich kurz angebunden. »Du brauchst mich nicht, Mischa. Du glaubst nur, dass du mich brauchst.«
»Nein, ich brauche dich. Sofort.«
»Was ist daran so schwierig? Du hast alles genau geplant. Mach es einfach.«
»Du verstehst das nicht. Sie sieht genau aus wie Stephanie. «
»Sie sieht überhaupt nicht wie Stephanie aus. Außerdem ist sie doppelt so alt.«
»Egal.« Auf einmal war sich Milo ganz sicher. »Es ist aus. Unsere Abmachung ist hinfällig. Ich bring die Kleine nicht um, bloß damit du deine Quelle kriegst.«
Milo musste erkennen, dass elterliches Verantwortungsgefühl den Alten nicht erweichen konnte. Aber das Risiko, einen Informanten innerhalb der CIA zu verlieren, ließ Jewgeni Primakow aufseufzen. »Wir treffen uns morgen um neun im Berliner Dom. Wir mischen uns unter die Leute.«
Vor seinem Aufbruch in Friedrichshain hatte Milo sein Zimmer in der Pension gesäubert und die
Weitere Kostenlose Bücher