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Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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wahrscheinlich hat er recht. Eines Tages kam eine Modelagentur in die Gegend. Angeblich aus Hamburg, aber das lässt sich nicht nachprüfen. Sie waren auf der Suche nach neuen Talenten, frischen Gesichtern. Alle Mädchen, die den Ansprüchen genügten, so hieß es, würden einen offiziellen Vertrag erhalten, und das Unternehmen würde sich um Pass und Visum kümmern. Adriana hat ihren Eltern nichts erzählt – sie wusste genau,
was sie dazu gesagt hätten. Im Gegensatz zu ihr waren sie Patrioten. Sie dachten gar nicht daran, aus Moldawien wegzuziehen oder ihre Tochter ins Ausland zu lassen. Also ging sie mit einer Freundin zum Vorstellungsgespräch in einer gemieteten Lagerhalle am Dorfrand. Zwei Tage später hat sie erfahren, dass sie und drei oder vier andere Mädchen ausgewählt worden waren. Ihre Freundin, so Mihai, war ganz krank vor Neid.«
    Sie passierten ein Schild, das eine Tankstelle ankündigte, und Erika bat ihn rauszufahren. Kaum hatte er geparkt, kletterte sie hinaus und stapfte hinüber zu dem sauberen, modernen Laden. Oskar spielte mit dem Gedanken, ihr zu folgen, doch dann blieb er sitzen und starrte durch die Windschutzscheibe auf die kahlen Felder jenseits der Autobahn. Das Unerträglichste an diesen Geschichten war, dass sie immer gleich anfingen: eine Modelagentur, ein Unternehmen, das Sekretärinnen oder Kindermädchen für reiche Familien im Westen suchte. Nur allzu bald wusste man, wie sie enden würden. Doch obwohl es immer wieder passierte, schien niemand daraus zu lernen.
    Sie kehrte mit einer Flasche billigen Weißwein mit Schraubverschluss zurück, aber ohne Snickers – vermutlich hatte es ihr den Appetit verdorben. Keuchend setzte sie sich auf ihren Platz. »Entschuldigung – wollten Sie auch was?«
    »Nein, nichts.«
    »Gut.«
    Zurück auf der Autobahn steuerte er wieder auf die Überholspur. Sein Fuß funktionierte wieder, und er wollte so schnell wie möglich nach München.
    »Wo war ich stehengeblieben?«, fragte sie.
    »Die Modelagentur hat sie rekrutiert.«

    »Ja.« Erika schraubte den Wein auf, und der Aluminiumrand des Verschlusses knirschte. »Alle erfolgreichen Teilnehmerinnen wurden fotografiert, sie mussten Namen und Adresse hinterlassen, und dann ist die Agentur abgereist. Eine Woche später kamen sie mit neuen Pässen wieder; danach hatten die Mädchen fünf Stunden Zeit, mit ihrem Gepäck zum Bus in der Dorfmitte zu kommen.
    In dem Bus saßen schon andere Mädchen aus Nachbarorten. Als sie die Grenze zu Rumänien erreichten, waren es wohl dreißig bis vierzig. Adriana hatte davon natürlich keine Ahnung, aber der lange Aufenthalt an der Grenze war nötig für die Schmiergeldzahlungen. Dann ging es weiter durch Rumänien bis zum Stopp an der nächsten Grenze und wieder weiter durch Ungarn. Schließlich waren sie an der österreichischen Grenze.«
    Sie nahm einen tiefen Zug aus der Flasche. Oskar wartete.
    »Wir meinen ja immer, dass wir besser sind als die Leute im Osten, aber in Wirklichkeit braucht es nur ein bisschen Geld. Geld ist der große Gleichmacher, richtig?«
    »Wahrscheinlich.«
    Nach einem weiteren Schluck fuhr sie fort. »Zwei Tage später kamen sie in Hamburg an. Die Mädchen wurden aus dem Bus in eine Lagerhalle im berüchtigteren Teil von St. Pauli getrieben. Dort wurden ihnen die Pässe abgeknöpft, und man sagte ihnen, dass viel Geld in sie investiert worden war. Erst mussten sie diese Investition abarbeiten, dann konnten sie Karriere als Model machen. Dann wurde eine nach der anderen vergewaltigt.«
    Erneut setzte sie die Flasche an. Die folgenden Worte richtete sie an die Straße.
    »Es gab einen Mann und eine Frau, die zusammen die Mädchen inspiziert und Notizen auf einem Klemmbrett
gemacht haben. Sie haben entschieden, wer wohin geschickt wird. Adriana wurde in ein Bordell außerhalb von Berlin gebracht. Laut Mihai war das ein Anzeichen dafür, dass ihnen ihr Aussehen gefallen hat. Gelegentlich lassen sich in diesem Etablissement auch hohe Tiere blicken, die sich eine Elfjährige mit so einem hübschen Gesicht schon was kosten lassen. Bitte nicht so schnell.«
    Auf diesem Abschnitt der A9 gab es zwar keine Geschwindigkeitsbegrenzung, aber Oskar hatte gar nicht gemerkt, dass er allmählich auf ein halsbrecherisches Tempo beschleunigt hatte. Er nahm Gas weg und schielte zu ihr hinüber. »Entschuldigung.« Da bemerkte er, dass die Flasche schon halbleer war. »Vielleicht sollten Sie es auch etwas langsamer angehen lassen.«
    Erika folgte seinem

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