Last Lecture - die Lehren meines Lebens
überzeugen, ein Feedback als etwas grundsätzlich Positives zu empfinden, war mein schwierigstes Unterfangen als Lehrer. (In meinem Privatleben war es allerdings auch nicht leichter.) Es betrübt mich, dass das so viele Eltern
und Lehrer schlicht aufgegeben haben. Wenn sie erklären, das Selbstbewusstsein ihrer Kinder stärken zu wollen, meinen sie damit oft nur leere Schmeicheleien, aber nicht die eigene Aufrichtigkeit, mit der sich der Charakter von Kindern prägen lässt. Ich habe schon so oft Klagen über den Niedergang unseres Bildungssystems gehört, aber ich bin überzeugt, dass einer der Schlüsselfaktoren dabei die viel zu vielen Streicheleinheiten und viel zu wenigen echten Feedbacks sind.
In meinem Seminar »Building Virtual Worlds« an der Carnegie Mellon University pflegten wir alle zwei Wochen ein Feedback von Gleich zu Gleich abzuhalten. Der Lernprozess war auf absoluter Kooperation aufgebaut. Die Studenten arbeiteten jeweils zu viert in einer Gruppe an einem Computerprojekt zum Thema Virtual Reality. Sie waren vollständig aufeinander angewiesen, und das spiegelte sich auch in ihren Noten.
Jedes Feedback wurde auf einem Arbeitsblatt notiert. Am Ende des Semesters, nachdem jeder Student mit jeweils drei Teamkollegen an fünf verschiedenen Projekten gearbeitet hatte, konnte jeder anhand von fünfzehn Datenpunkten sehen, wie er eingeschätzt worden war. Das war eine pragmatische und statistisch stichhaltige Möglichkeit, ihnen die Chance zu geben, sich selbst besser kennenzulernen.
Ich fertigte ein mehrfarbiges Balkendiagramm an, dem jeder Student sein Ranking entnehmen konnte. Dieses Ranking beruhte auf einem simplen Fragenkatalog:
1. Glaubten die Kommilitonen, dass der betreffende Student hart arbeitete? Exakt wie viele Stunden, glaubten sie, hatte er einem Projekt gewidmet?
2. Wie kreativ war sein Beitrag?
3. Fanden es seine Kommilitonen einfach oder schwierig, mit ihm zusammenzuarbeiten? War er ein Team Player?
Vor allem in Bezug auf diese dritte Frage versuchte ich zu verdeutlichen, dass die Einschätzung Gleichrangiger per Definition immer den genauesten Messwert zur Beantwortung der Frage bietet, wie leicht oder schwer es ist, mit einem Teammitglied zusammenzuarbeiten.
Die mehrfarbigen Balkendiagramme waren sehr genau. Jeder Student erfuhr exakt, wo er im Vergleich zu seinen neunundvierzig Kommilitonen stand.
Hand in Hand damit ging ein freieres Feedback, wobei es sich im Wesentlichen um konkrete Verbesserungsvorschläge handelte, wie beispielsweise: »Lass andere ausreden, wenn sie sprechen.«
Ich hoffte ganz einfach, dass solche Informationen mehr als nur ein paar meiner Studenten Anlass geben würden, über sich selbst nachzudenken und bei ihrer Arbeit einen
Zahn zuzulegen. Doch obwohl ein solches Feedback schwer zu ignorieren war, haben das einige doch geschafft.
In einem Kurs machte ich etwas anders: Ich ließ die Studenten ebenfalls gegenseitige Bewertungen abgeben, teilte ihnen dann aber nur das Quartil mit, in dem sie jeweils rangierten. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem von ihnen, den die anderen besonders unausstehlich fanden. Er war smart, aber sein gesundes Selbstbewusstsein verhinderte, dass er auch nur ansatzweise wahrnahm, wie er bei den anderen ankam. Er sah die Daten, die ihn im untersten Quartil ansiedelten, doch das machte nicht den geringsten Eindruck auf ihn.
Er rechnete sich einfach aus, dass er, da er unter den untersten fünfundzwanzig Prozent rangierte, auf dem Niveau von vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Prozent stehen müsse (anstatt beispielsweise unter den untersten fünf Prozent), was aus seiner Sicht nichts anderes hieß, als dass er praktisch schon zum nächsthöheren Quartil gehörte. Folglich sah er sich »nicht weit von fünfzig Prozent entfernt«, und das wiederum bedeutete für ihn, dass ihn seine Kommilitonen völlig in Ordnung fanden.
»Ich bin so froh, dass wir uns unterhalten«, sagte ich ihm, »denn ich halte es für wichtig, dass ich dir ein paar genauere Informationen gebe. Du rangierst nicht nur unter den untersten fünfundzwanzig Prozent. Deine Kommilitonen setzten dich an die letzte Stelle aller fünfzig Studenten im Kurs. Du bist Nummer fünfzig. Du hast ein ernsthaftes Problem. Sie sagen, du hörst nie zu. Es sei schwer, auszukommen mit dir. Das läuft nicht gut.«
Der Student war geschockt. (Sie sind immer geschockt.) Da hatte er sich das Ganze so prima rationalisiert, und dann kam ich ihm mit harten Fakten.
Da
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