Last Lecture - die Lehren meines Lebens
Welten eintauchen kann).
Ich öffnete den Kurs für fünfzig Studenten aus dem Grundstudium aller Fachbereiche an der Universität. Es nahmen also Schauspielschüler, Englischstudenten und Leute aus der Bildhauerklasse neben Ingenieur- oder Mathematikstudenten und Computerfreaks teil. Wenn man bedenkt, wie autonom die verschiedenen Fachbereiche an der Carnegie Mellon sind, dann hätten sich ihre Wege sonst vermutlich nie gekreuzt. Wir aber machten diese jungen Leute nun zu ungleichen Partnern und zwangen sie, gemeinsam etwas zu tun, das sie allein nie hätten tun können.
Es gab vier durch das Zufallsprinzip ausgewählte Mitglieder pro Team, das jeweils für die Dauer von zwei Wochen an einem eigenen Projekt arbeitete. Ich gab ihnen nur vor: »Erschafft eine virtuelle Welt.« Also begannen sie etwas zu programmieren, sich etwas zusammenzufantasieren und sich die Ergebnisse dann gegenseitig vorzuführen. Ich setzte derweil die Teams neu zusammen, und jeder begann ein neues Spiel mit drei neuen Partnern.
Ich hatte nur zwei Regeln für ihre virtuellen Welten aufgestellt: keine Schüsse und Gewalt, keine Pornografie. Dahinter steckte weniger Moral als die Tatsache, dass solche Themen schon bis zum Gehtnichtmehr für Computerspiele ausgeschlachtet worden sind, es mir aber um originäres Denken ging.
Ihr würdet euch wundern, wie leer die Fantasiewelten von neunzehnjährigen jungen Männern sind, wenn man Sex und Gewalt aus dem Themenkatalog streicht. Trotzdem, nachdem ich von ihnen gefordert hatte, über das allseits Bekannte hinauszudenken, zeigten sich die meisten dieser neuen Situation gewachsen. Und nicht nur das: Als die ersten Studenten meines ersten Kurses ihre ersten Projekte
vorstellten, haute es mich schlicht um. Was sie mir da vorführten, übertraf meine eigene Fantasie bei Weitem. Und am beeindruckendsten war, dass sie diese Kunstwerke an Computern programmiert hatten, die nach den Standards von Hollywoods virtueller Realität ausgesprochen lahm waren.
Ich war zu diesem Zeitpunkt schon zehn Jahre im Lehrbetrieb gewesen und hatte bei Beginn dieses BVW-Kurses keine Ahnung gehabt, was mich erwarten würde. Aber schon nach der Aufgabenstellung für die beiden ersten Wochen hatten mich die Resultate überwältigt. Ich wusste einfach nicht, was ich noch fordern konnte, und war derart ratlos, dass ich meinen Mentor Andy van Dam anrief.
»Andy, ich habe meine Studenten gerade ein zweiwöchiges Projekt machen lassen, und sie kamen mit Sachen an, die ich ihnen allen mit A benotet hätte, wenn sie dafür ein ganzes Semester Zeit gehabt hätten. Was soll ich tun?«
Andy dachte einen Moment nach, dann sagte er: »Okay, du machst Folgendes. Geh morgen in deine Klasse, schau sie an und sage: ›Leute, das war ziemlich gut, aber ich weiß, ihr könnt das besser.‹«
Diese Antwort machte mich sprachlos. Aber ich folgte dem Rat, und er war, wie sich herausstellte, goldrichtig gewesen. Denn was Andy mir damit eigentlich gesagt hatte, war, dass ich einfach nur nicht wusste, wie hoch ich die Messlatte legen konnte, und den Studenten einen schlechten Dienst erwiesen hätte, wenn ich einfach irgendwelche willkürlichen Grenzen gesetzt hätte.
Tatsächlich wurden sie immer besser. Ihre Schöpfungen waren eine Inspiration für mich. Viele Projekte waren schlicht und einfach brillant, ob sie den Spieler zu einem Abenteurer beim Rafting machten, auf eine romantische
Gondelfahrt durch Venedig schickten oder in einen Ninja auf Rollerskates verwandelten. Ein paar Studenten erschufen sich auch unglaubliche Fantasiewelten, bevölkert von liebenswerten 3-D-Geschöpfen, die sie sich in ihren Kindertagen erträumt hatten.
Mit einem Mal sah ich mich an den Präsentationstagen nicht nur mit meinen fünfzig Studenten, sondern mindestens weiteren fünfzig Leuten konfrontiert, die ich noch nie gesehen hatte - Zimmergenossen, Freunde, Eltern. Ich hatte nie zuvor Eltern in einem Kurs gesehen! Allmählich schwoll die Menge lawinenartig an. Am Ende drängten sich so viele Menschen in die Präsentationen, dass wir ins Audimax umziehen mussten. Und selbst dort gab es nur noch Stehplätze für das mehr als vierhundertköpfige Publikum, das seine Favoriten aus unseren virtuellen Welten mit stürmischen Ovationen belohnte. Jared Cohon, Präsident der Carnegie Mellon University, sagte mir einmal, er habe sich immer wie bei einer »Ohio State Pep Rallye« gefühlt (einer dieser »Anheizerversammlungen«, die die Studenten vor einem Spiel ihres
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