Latin Lover verzweifelt gesucht
mitgebracht”, sagte sie versonnen, und ihre Stimme hatte auf einmal normale Lautstärke.
“Hermann?”
“Mein verstorbener Mann. Starb ein paar Jahre, bevor Sie eingezogen sind. Wir haben eine Tochter, Penelope. Sie lebt im Staat Washington. Arbeitet für so eine Umweltschutzorganisation. Hat irgendwas mit Eulen zu tun. Sie ruft mich einmal die Woche an.”
Mrs. Kaminsky hatte eine Tochter?
“Sie erinnern mich an sie”, fuhr sie schon mit ihrer Erzählung fort. “Vermutlich habe ich Ihnen deshalb damals die Wohnung überlassen. Ich dachte mir, das ist ein Mädchen, dem man trauen kann. Enttäuschen Sie mich jetzt bloß nicht.”
Kyra hatte das Gefühl, auf einem anderen Planeten zu sein. Sie zwickte sich unter der Decke ins Bein, nur um sich davon zu überzeugen, dass sie nicht träumte.
“So, stehen Sie jetzt auf, oder muss ich erst wieder anfangen zu brüllen?”
War das ein Zwinkern in den Augen der alten Frau? Ja, entschied Kyra. Und es kam so unerwartet, dass sie vergaß, böse zu sein. “Gleich.”
“Gut.” Mrs. Kaminsky sah sich neugierig um. “Sie wissen, dass es laut Mietvertrag verboten ist, in der Wohnung etwas zu verändern.”
Kyra erblasste, weil sie eine Menge verändert hatte.
Doch Mrs. Kaminsky nickte nur. “Es gefällt mir.” Damit drehte sie sich um und ging zur Tür. “Und sehen Sie zu, dass Sie einen neuen Job bekommen. Wenn Sie Ihre Miete nicht zahlen können, werfe ich Sie raus. Darauf können Sie sich verlassen.”
Kyra setzte sich auf und ließ die Beine aus dem Bett baumeln. Dann sah sie die Tüte. Ohne Zweifel waren alle ihre Lieblingsspeisen darin, und plötzlich verspürte sie einen Heißhunger. Sie nahm die Tüte an sich und schaute hinein.
“Mrs. Kaminsky?”, rief sie schnell, als sie hörte, wie ihre Vermieterin die Wohnungstür öffnete. “Wo ist denn das Eis?”
Die Tür wurde zugeschlagen, und Kyra hörte jetzt Mrs. Kaminsky im Flur lachen. Sie biss sich nachdenklich auf die Lippe. Sie hatte immer vermutet, dass hinter der Frau noch mehr steckte, und jetzt, wo sie es wusste, war sie sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Wenn sie im Bett bleiben wollte, was ging es jemanden an? Vor allem Mrs. Kaminsky.
Ihr Blick fiel auf das Buch, das sie veranlasst hatte, ihr Leben so auf den Kopf zu stellen. “Sex Kitten 101” sollte besser heißen: “Wie ruiniere ich mir gründlich mein Leben? Erklärt in zehn idiotensicheren Beispielen.”
Sie pfefferte das Buch in eine Ecke. Dann betrachtete sie sehnsuchtsvoll ihr Bett, um im nächsten Moment erschrocken zusammenzufahren.
“Wenn Sie nicht in einer halben Stunde da rauskommen, dann komme ich und hol Sie!”, rief Mrs. Kaminsky durch die Wohnungstür.
Kyra verzog das Gesicht und stand stöhnend auf.
Michael parkte seinen Wagen neben Kyras Mustang auf dem Parkplatz der Lolita-Bar. Nervös strich er sich das Haar zurück und atmete tief durch. Seit Kyras Kündigung gestern hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen. Er hatte nicht weniger als ein Dutzend Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen, und heute Nachmittag um fünf hatte sie endlich zurückgerufen.
Er war so erleichtert gewesen, ihre Stimme zu hören, dass er erst gar nicht richtig verstanden hatte, was sie sagte. Dann hatte sie alles noch einmal wiederholt. Sie hatte einen neuen Job in einer exklusiven Modeboutique. Sie und die Ladenbesitzerin waren sich auf Anhieb sympathisch gewesen. Und, man stelle sich vor, bei der Buchhalterin der Boutique hatten gerade heute Morgen die Wehen eingesetzt, sodass dringend Ersatz benötigt wurde.
Kyra hatte feiern wollen. “Wir treffen uns nach Büroschluss in der Lolita-Bar. Du weißt schon, wie in alten Zeiten.”
Michael nahm die Blumen vom Rücksitz und stieg aus. Es gefiel ihm nicht unbedingt, wenn Kyra wie in alten Zeiten weitermachen wollte. Nachdem er den Wagen abgeschlossen hatte, ging er hinüber in die Bar.
Als er eintrat, mussten seine Augen sich erst einmal an das Dämmerlicht gewöhnen. Es herrschte der übliche Andrang nach Feierabend. Er sah suchend die Tische ab. Keine Kyra. Dann entdeckte er sie. Natürlich am Tresen.
Sein Herzschlag beschleunigte sich, so wie meistens, wenn er sie sah. Doch heute klopfte sein Herz besonders schnell in Anbetracht der Ereignisse der letzten beiden Tage. Sie trug das eng anliegende lila Kleid, das ihre wunderbaren Rundungen unterstrich und die Aufmerksamkeit sämtlicher Männer auf sich zog. Sofort steuerte er den Tresen an, bereit, sie alle
Weitere Kostenlose Bücher