Latin Lover verzweifelt gesucht
Klopfen an ihrer Wohnungstür, das immer lauter wurde. Sie wusste, es konnte nicht Michael sein. Michael war bei der Arbeit. Und die vernachlässigte er nie. Sie linste unter der Decke hervor zu ihrem Anrufbeantworter. Die digitalen Ziffern zeigten ihr, dass sie zehn Nachrichten hatte. Dann verkroch sie sich wieder, froh darüber, dass sie die Klingel abgestellt hatte.
“Miss White! Machen Sie sofort auf! Hier ist Ihre Vermieterin!”
Als ob man das nicht hören konnte.
Kyra runzelte die Stirn. Warum klopfte eigentlich Mrs. Kaminsky an ihre Tür?
“Ich weiß, dass Sie da sind!”
Kyra hatte keine Lust, sich zu bewegen. Also tat sie es auch nicht. Mr. Tibbs miaute kläglich, Mrs. Kaminsky brüllte, und Kyra wünschte, sie wäre irgendwo, nur nicht hier.
Wenn sie die Tür für Michael gestern schon nicht geöffnet hatte, würde sie es gewiss jetzt nicht für ihre Vermieterin tun.
Es war ihr sehr schwergefallen, standhaft zu bleiben, als sie Michael hatte rufen hören. Natürlich hatte Mrs. Kaminsky die Nachricht, die sie ihm überbringen sollte, in etwas andere Worte gekleidet, doch die Botschaft blieb dieselbe. Kyra wollte in Ruhe gelassen werden. Und die hatte sie die letzten vierundzwanzig Stunden auch gehabt. Seitdem lag sie im Bett und haderte mit ihrem Schicksal.
Michael war bestimmt wütend auf sie, doch dafür konnte sie nichts. Sie war immer stolz auf ihre Ehrlichkeit gewesen. Und ungerechterweise eines Vergehens beschuldigt zu werden, traf sie mehr als hart. Konnte er das nicht verstehen?
Irgendwann würde sie aufstehen und sich einen neuen Job suchen müssen. Doch im Moment konnte sie nur um ihren alten trauern.
Irgendwann würde sie auch mit Michael reden müssen. Aber auch darüber mochte sie im Moment nicht nachdenken.
“Sie haben ja alles umgestrichen!”
Das laute Dröhnen von Mrs. Kaminskys Stimme direkt an ihrem Ohr erschreckte Kyra so sehr, dass sie aus dem Bett sprang. Nach Atem ringend starrte sie ihre Vermieterin an. Nicht ein einziges Mal, seit sie hier wohnte, war Mrs. Kaminsky die Treppe herauf, geschweige denn in ihre Wohnung gekommen. Dass sie jetzt mitten in ihrem Schlafzimmer stand, war für Kyra unbegreiflich.
Mrs. Kaminsky hielt einen Schlüssel hoch. “Ich bin die Vermieterin, haben Sie das vergessen?”
Kyra erschrak erneut, als die laute Stimme ertönte, während sich Mr. Tibbs eiligst unter ihrem Bett verkroch.
“Was ist los? Haben Sie getrunken, Mädchen?”
“Nein”, flüsterte Kyra und dachte, dass das vielleicht gar keine so schlechte Idee wäre. “Was machen Sie hier?”
Sie hielt eine Tüte hoch. “Ihr Freund hat das gestern Abend dagelassen. Ich hab’s für Sie im Kühlschrank aufbewahrt und wollte es Ihnen heute Morgen geben, bevor Sie zur Arbeit fahren. Aber als Sie sich nicht rührten, dachte ich mir, dass etwas nicht in Ordnung ist. Also bringe ich es Ihnen.”
Kyra schaute auf die Tüte aus ihrem bevorzugten chinesischen Restaurant. “Ich bin nicht zur Arbeit gefahren, weil ich keine Arbeit mehr habe.”
“Sie haben keinen Job mehr! Sind Sie verrückt, Mädchen? Kennen Sie denn nicht die augenblickliche Wirtschaftslage? Werden Sie Ihre Miete überhaupt noch zahlen können?”
Kyra legte sich die Hände auf die Ohren. “Bitte, könnten Sie Ihre Stimme ein paar Dezibel herunterschrauben?”
Mrs. Kaminsky runzelte die Stirn. “Rede ich etwa zu laut?”
“Ja”, meinte Kyra und versuchte vergeblich, höflich zu sein. “Mir platzt fast das Trommelfell.”
Kyra wappnete sich für eine neue Tirade, doch Mrs. Kaminsky überraschte sie, indem sie sich etwas aus dem Ohr nahm. Es war ein Hörgerät. Sie schüttelte es. “Meine Schwester sagt mir ständig, ich soll mir ein neues besorgen. Ich sag ihr, dass ich kein neues Hörgerät brauche. Dies hier funktioniert seit zehn Jahren wunderbar.”
“Haben Sie schon mal die Batterien gewechselt?”, fragte Kyra, kroch wieder in ihr Bett und zog sich die Decke über den Kopf, in der Hoffnung, das Dröhnen ein wenig zu dämpfen.
“Batterien?” Kyra schnappte nach Luft, als Mrs. Kaminsky ihr die Decke wegzog und schrie: “Hey, behandelt man so seine Gäste? Kein Wunder, dass außer dem einen Taugenichts sonst niemand kommt.” Sie schaute unschlüssig auf die Tüte in ihrer Hand und stellte sie dann einfach auf dem Bett ab. “Obwohl ich sagen muss, dass ein Mann, der seinem Mädchen Eis mitbringt, nicht ganz so schlecht sein kann.”
Kyra nickte.
“Mein Hermann hat mir immer Lakritze
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