Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
einziges Mal gesehen haben, nämlich in der Nacht des Unfalls. Franziska Ruhland hat diesen Rosenkranz erst am Vortag erworben. Dafür kann ich eine unumstößliche Zeugenaussage beibringen.» –
Da brüllte sie es heraus: «Die verfluchte Hure! Sie hat mir mein Leben vernichtet, hat meine Hingabe mit Füßen getreten, sie hat mich mißachtet, hat mich voller Haß angeschrieen, daß sie von jetzt an über Erich ganz allein verfügt und daß sie den Segen der Kirche dazu erhalten hat! Sie hat mich mit ihrem herausgeputzten weißen Kleid gedemütigt da draußen, und was noch schlimmer war, sie hat mich verhöhnt, daß sie und Erich meine Abwesenheit in den Sühnenächten benutzt haben, ja daß sie mir seine Veranstaltungstermine vorgegaukelt haben, um sich in meinem Haus zu vergnügen! Wie ich ein einziges Mal früher zurückgekommen bin, hab ich mich nicht hineingetraut, weil sie drin war. – Ich hab ihr ins Gesicht geschrien, daß sie das Böse ist; ich war so furchtbar wütend auf sie. Und auf einmal hat sie mir unverschämt diesen Rosenkranz vors Gesicht gehalten, ja als ob ich ein Teufel wär. So richtig beschwörend vor mich hingehalten hat sie das Kreuz! ‹Weiche du Satan›, hat sie gezischt! – Der Herrgott möge mir vergeben, ich bin auf sie losgestürzt, hab sie gepackt, sie weggestoßen … richtig weggestoßen von mir …» Sie stockte und nahm die Hände vor die Augen. –
Professor Erich Konrad fiel nichts anderes ein, als entsetzt und wie erstarrt «Melitta!» auszurufen. Nicht zum ersten Mal dachte Lürmann, welch außergewöhnlicher Vorname das doch sei.
Kommissar Glaser stellte sachlich, wenn auch überflüssigerweise fest: «Dann sind Sie gleich hierher zurück in die Kirche.» Melitta Steinig bewegte hinter ihren Händen nur sachte nickend den Kopf.
Schließlich meinte sogar Hüttenberger, etwas zur Aufklärung beitragen zu müssen. Mit nahezu verzückter Stimme sprach er: «Als ich dort vor Maria auf den Knien war, war mir damals, als hätten die Kerzen kurz geflackert.»
Melitta Steinig wurde in Polizeigewahrsam genommen. «Ihr» Professor hatte ihr zwar angeboten, sich um sie zu kümmern, war jedoch nur auf Ablehnung ihrerseits gestoßen. Er würde es trotzdem tun. Für heute ging er in sich gekehrt nach Hause. Der stellvertretende Bibliotheksleiter schlug betont auffällig die entgegengesetzte Richtung ein. Hüttenberger hatte sich wie so oft in die Marienkapelle verzogen. Laubmann, Glaser und Lürmann verweilten ein wenig vor dem Gotteshaus.
«Sie hatten recht», wandte sich Philipp Laubmann an den Kommissar, «mit Ihrem Anfangsverdacht gegen Frau Steinig.»
«Alles Routine.»
«Ich bin zu langsam dahintergekommen.»
«Dann aber sehr geschickt. Vor allem die verworrene Geschichte um den Rosenkranz. Damit haben Sie genau ins Schwarze getroffen. Der Rosenkranz als Abwehr gegen das Böse. An diesen Satz von Ihnen erinnere ich mich. Und wie hat sie gesagt? ‹ Als ob ich ein Teufel wär. ›»
«Als wäre Franziska Ruhland ein guter Engel gewesen und Melitta Steinig in jenem unglücklichen Moment ein böser; und beide stünden im Kampf miteinander. Aber das ist zu einfach. Beide wollten das Gute in ihrem Leben verteidigen, das Gute, das sie gefunden zu haben glaubten. Und doch verlief beider Leben in dieser Situation ungut, schlug vielleicht sogar ins Böse um. – Ich halte», fügte Laubmann an, «Melitta Steinig nicht allein für schuldig. Einen Teil der Verantwortung hätte selbst Franziska Ruhland zu tragen – und trägt der Professor.»
Lürmann plagte noch immer die Neugier. Alle Fragen sollten letztlich geklärt sein: «Wollen Sie uns nicht Ihr überraschendes Schlußargument erläutern? Die unumstößliche Zeugenaussage?»
Laubmann erzählte nicht allzu abschweifend von seinem Besuch bei Pater Erminold, dem Benediktiner, und der Betrachtung der Devotionalienstände Heiligenbergs. «Wir sind von der falschen Annahme ausgegangen, daß der Tatort-Rosenkranz dem Täter zuzurechnen ist respektive der Täterin. Was aber, wenn er Eigentum des Opfers war, hab ich mich wie aus heiterem Himmel gefragt. Ich hab mich bei den Devotionalienhändlern am Wallfahrtsort umgehört, ihnen das Totenbildchen, also das Foto Franziskas, und den Rosenkranz gezeigt, den ich von Hüttenberger geschenkt bekommen habe. Glück, Zufall, auf jeden Fall ein Volltreffer. Einer hat Franziska Ruhland erkannt. Sie hat den Tatort-Rosenkranz dort erworben», ja sie habe den Händler sogar um Auskunft
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