Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
Doch der ist unabkömmlich.
Sie entschließt sich, als eine Art Ersatz, wenigstens mit Frau Steinig eine Unterredung zu führen, klar Schiff zu machen, damit Melitta Steinig zu keinem Hindernis der angestrebten Heirat wird. Franziska fährt also zur Wohnung Professor Konrads – und sie ist wohlgemerkt mit ihrem Wagen unterwegs; Führerschein und Autoschlüssel werden in ihrer Handtasche gefunden. Sie trifft dort aber niemanden an. Wieder nichts.
Sie ist wütend, verzweifelt, traurig; alles zusammen wahrscheinlich. Sie will nicht warten, kann sich an niemanden wenden. Und dann unternimmt sie etwas für sie in dieser Situation Naheliegendes, indem sie ein zweites Mal nach Heiligenberg fährt, um Rat und Trost von ihrem Vertrauten zu erhalten. Zeitlich haut das hin; ich hab die Fahrzeit selbst gemessen. Bedauerlicherweise ist Pater Erminold Eichfelder seit dem Nachmittag auf Dienstreise, wie sie erfahren muß. Das war nun ein außergewöhnliches Pech. Fast ein Schicksalsschlag, das alles. Sie sitzt in ihrem Wagen und überlegt, ob sie aufgeben soll. Die Verabredung mit Ihnen, Dr. Prestl, war ihr längst gleichgültig. Die hatte sie schon davor im Kalender ausgestrichen.»
Dr. Prestl zuckte nur mit den Schultern, und Dr. Laubmann steigerte sich zum Höhepunkt seiner Ausführungen, zur wahren Apotheose. «Und auf einmal fällt Franziska Ruhland doch noch was ein: Wenn Melitta Steinig nicht zu Hause ist, besucht sie bestimmt gerade eine Sühnenacht. Das weiß sie vom Professor.»
Melitta Steinig fragte tonlos, wie unter Zwang: «Du hast es gewußt?» und Konrad gab unwirsch zur Antwort: «Ja, zum Teufel!» «Herr Kollege Lürmann, wo war der Wagen?»
Ernst Lürmanns Stichwort, und er zelebrierte die Auskunft:
«Wir haben Frau Ruhlands Pkw, einen neuwertigen gelben VW Golf, hier in der Nähe entdeckt, auf einem Stellplatz am Stadtpark, der ausschließlich für die Besucher der Gottesdienste in St. Vitus ausgewiesen ist. Die Frage bleibt, ob eine Sühnenacht als Gottesdienst im Sinne der Beschilderung zu werten ist.»
«Was meine Theorie untermauert, meine Dame, meine Herrn.» Philipp Laubmann ging auf die Lürmannsche Zusatzfrage nicht ein. «Franziska Ruhland kam hierher. Ich schätze, so gegen 22 Uhr 45. Sie betritt die Kirche, sieht Frau Steinig und bittet sie nach draußen. Der Rest der Besatzung ist im Beichtstuhl beschäftigt.»
«Wenn Sie damit ernsthaft behaupten wollen, daß meine Freundin, Frau Steinig, in den Todesfall verwickelt ist», lehnte sich Hüttenberger gegen Laubmann auf, «muß ich Sie auf einen Denkfehler aufmerksam machen. Mein Mitbruder, Pfarrer Nüßlein, hat mich selbstverständlich sofort über das Polizeiverhör, dem er sich zu unterziehen hatte, unterrichtet, und er hat mir gegenüber deutlich seine Aussage wiederholt, daß er etwas nach 23 Uhr den Beichtstuhl verlassen und uns beide, Frau Steinig und mich, im Kirchenschiff wahrgenommen hat. Wenn sich aber der Unfall, dem Zeitungsbericht nach, erst um 23 Uhr ereignet hat, ist die Zeitspanne zu gering, in der Frau Steinig vom Unfallort aus nach St. Veit hätte zurücklaufen müssen, um sich danach – bevor ich vom Marienaltar aus ins Hauptschiff zurückgegangen bin – in aller Ruhe in eine der Kirchenbänke zu knien. Herr Pfarrer Nüßlein ist ja fast zur gleichen Zeit aus dem Beichtstuhl gekommen.» «Herr Lürmann!»
Ernst Lürmanns zweite entscheidende Auskunft: «Wir haben genauestens ermittelt, daß die Tatzeit mindestens sechs Minuten früher anzusetzen ist, also um 22 Uhr 50 oder 52!» Sie spielten sich nun die Bälle zu.
Laubmann knüpfte daher ohne Verzögerung an: «Und wir haben noch ein zusätzliches, höchst aufschlußreiches Indiz zu bieten.» Er zog den einfach gestalteten Rosenkranz aus der Jackentasche. «Den haben wir bei der Leiche aufgelesen.» Laubmann hielt ihn sofort Melitta Steinig hin und sagte ihr mit Bestimmtheit, jedes einzelne Wort betonend: «Das ist der Ihre! Sie waren am Tatort!»
«Nein!» wehrte sie heftig ab, «der gehört der Ruhland! – Meiner sieht so aus!» Dabei nestelte sie an ihrer schwarzen Handtasche und brachte eine teure Elfenbein-Arbeit zum Vorschein.
«Woher wissen Sie, daß der Rosenkranz in meiner Hand Franziska Ruhland gehört hat?» setzte Laubmann nach. Frau Steinig war verunsichert. «Ich hab ihn bei ihr gesehen.» «Wann?»
«Irgendwann mal; das ist schon länger her, vielleicht vor ein paar Wochen.»
«Frau Steinig», Laubmann wurde todernst, «Sie können ihn nur ein
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