Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
anschickte, dem Gast und sich einen Tee aufzugießen, das heißt, nicht irgendeinen Tee, sondern Laubmanns bevorzugtes Getränk, einen Kamillentee. Seine Vorliebe war bereits bis zu ihr durchgedrungen, und Melitta Steinig selbst war dieser Geschmacksrichtung nicht abgeneigt. Drei Beutel auf eine Kanne bevorzugte er. Denn die Blüte der Kamille heile nicht nur Wunden und Entzündungen, sondern wirke auch entkrampfend auf Magen, Darm und Nebenhöhlen.
Melitta Steinig war sicher älter als Konrad. Laubmann betrachtete sie verstohlen und verglich sie mit Theresia Schmitthans-Jungbauer aus dem Ordinariat, die ihm gerade in den Sinn kam: Beide durften etwa das gleiche Alter haben; aber die Steinig machte weniger aus sich. Vielleicht wollte sie den Eindruck sogar bewußt erwecken, enthaltsam und ergeben zu sein, so puritanisch wie die Küche, vermutete Philipp. Der Schmitthans-Jungbauer gegenüber nahm sie sich mit ihrem spitzen Gesicht wie eine Betschwester aus, die dunklen Haare in den Nacken gezogen wie eine strenge Haube.
Selbst in der Universität, als Sekretärin Konrads, vermittelte sie eher das Bild einer Hausangestellten. Laubmann überlegte, ob sie wohl viel Schreibarbeit zu Hause erledigte, da er sie fast nie in der Universität antraf, wenn er dort war. Oder lag das an seiner eigenen häufigen Abwesenheit? ‹Konrad wird viele seiner Unterlagen in der Wohnung haben. Ist auch praktischer, wenn seine Sekretärin hier wohnt.› Aber wo in diesem Haus widmete sie sich der Büroarbeit? Doch nicht etwa in der Küche? Sie erschien ihm wie eingesponnen in ihre Welt.
«Kennt die Kirchengeschichte nicht einen Heiligen namens ‹ Camillus›?» fragte Melitta Steinig.
«Da haben Sie recht.» Laubmann schreckte aus seinen Überlegungen hoch. «Hat aber eigentlich nichts mit der Kamille zu tun. Schade; darüber hab ich auch schon nachgedacht, weil ich den Tee doch so gern mag. Die Pflanzenbezeichnung ‹ Kamille › und die Namen ‹Camillus› oder ‹Camilla› haben jedoch sprachgeschichtlich unterschiedliche Wurzeln. Die Kamille heißt nämlich übersetzt ‹Erdapfel›, weil ihre Blüten angeblich nach Äpfeln duften. Camillus heißt hingegen ‹der Edle › oder ‹ von edler Geburt›; obwohl, in meinen Augen ist die Kamille auch eine edle Pflanze.» «Aber der Heilige ist nicht erfunden?» Die Frage klang beinahe trotzig.
«Der ist echt. So um 1600 hat er sich zusammen mit Philipp Neri in Rom der Krankenpflege und Krankenseelsorge gewidmet.» Der Orden der Kamillianer sei nach ihm benannt. Die seien für den Krankendienst zuständig. «Haben Sie übrigens bemerkt, daß der heilige Philipp Neri denselben Vornamen trägt wie ich?»
Melitta Steinig reagierte nicht darauf. «Möchten Sie Zucker oder Süßstoff?» Sie stellte Untertassen und Tassen mit Goldrand auf das geblümte Tischtuch.
«Süßstoff, sonst verlier ich meine Fassong .» Das sollte eine Laubmannsche Verballhornung von Fassung und Fasson werden, was die Haushälterin nicht verstand, was ihr freilich niemand übelgenommen hätte.
Sie goß den heißen Tee in die Tassen, und Laubmann begann genüßlich schlürfend zu trinken. «Ich nenne meinen Kamillentee immer Peppone … Don Camillo – Peppone.» Sie war durch Laubmannsche Sprachwitze nicht aus der Reserve zu locken. Weshalb auch hätte sie mit jemandem, den sie kaum kannte, lustige Reden führen sollen? Hatte er nicht gesagt, er sei ihres Professors wegen besorgt? Warum benahm er sich dann so albern?
«Sie geben nichts bedenkenlos über den Professor preis?» fragte er spontan.
«Ich möchte so was nicht. Das gehört zu den Grundsätzen meines Berufs», gab sie unaufdringlich zur Antwort. «Das ist bestimmt angebracht. Außerdem bekleiden Sie eine Vertrauensposition als seine Sekretärin. Ich denke nur an seine wissenschaftlichen Resultate.»
«Ich nehme das sehr ernst.»
«Wie hat sich diese ‹Doppelfunktion› denn ergeben, als Haushälterin und Sekretärin?»
Möglicherweise fragte sie sonst nie jemand danach, jedenfalls konnte Melitta Steinig bei dieser Gelegenheit einmal ungehindert ihre Geschichte erzählen, was sie recht freimütig tat: Sie sei eine entfernte Verwandte Konrads, nämlich die Tochter einer Cousine seiner Mutter. Beider Mütter seien längst verstorben. «Ich hatte eine Ausbildung als Sekretärin; staatlich geprüft. Aber als er dann zum Priester geweiht wurde, hab ich mich entschlossen, ihm halbtags den Haushalt zu führen, und bin zu ihm gezogen. Die zweite Hälfte
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