Laubmann 2 - Bärenzwinger
Die Polizeiarbeit war in vollem Gange. Ein unwirkliches Szenarium. Der Schneefall hatte nicht nachgelassen. Die von Hans Merten auf Verlangen der Polizei zur Gänze angeschaltete Außenbeleuchtung sowie die Lichter der Fahrzeuge und die eigens installierten Scheinwerfer tauchten die Burg in eine gespenstische Atmosphäre, die freilich jegliche Romantik vermissen ließ. Aus der Ferne beobachtet und ohne Kenntnis des wahren Sachverhalts konnte sich ein unbefangener Betrachter wie vor einer Filmkulisse wähnen.
Im Burghof waren hauptsächlich uniformierte Polizisten unterwegs. Der Tatort selbst war abgesperrt und derzeit nur für die Spurensicherung zugänglich. Der Konferenzsaal war zur vorläufigen Ermittlungszentrale erklärt worden, und der Zutritt war nur Befugten gestattet, zu denen sich Prälat Glöcklein allerdings rechnete. Die junge Staatsanwältin Verena John hatte sich eingefunden und die Koordination der Untersuchung übernommen.
Der Pathologe Viktor Radetzky hatte für die rechtsmedizinische Begutachtung des Toten zu sorgen und die Leiche schon inspiziert. Über die Einsatzzentrale der Polizei sollte ein Wagen des diensttuenden Beerdigungsunternehmens angefordert werden, um das Opfer in die Gerichtsmedizin zu bringen. Der Notarzt, der mit als erster an den Tatort gerufen worden war und den Tod Alfonso Forsters festgestellt hatte, war wie die herbeigerufenen Sanitäter längst wieder in die Stadt gefahren. Denn Leichen werden nicht in Rettungswägen transportiert, nicht einmal die Leichen prominenter Professoren.
Hans Merten hatte sich von seiner Übelkeit auch ohne ärztliche Hilfe erholt. Seine Frau Sophia hatte ihm einen Beruhigungstee gekocht, den er in einem Gemach hinter der Rezeption in kleinen Schlücken trank.
Kriminalhauptkommissar Glaser strich sich ungeduldig über den Oberlippenbart, als ihm Prälat Glöcklein die Unterstützung der Bistumsleitung zusicherte. Schließlich sei die Burg sozusagen kirchliches Terrain und er, Glöcklein, der kirchenamtliche Ansprechpartner.
Der Prälat wurde von Philipp Laubmann auf der einen und Petrus von Bebenhausen auf der anderen Seite flankiert. Letzterer wirkte des Todesfalls wegen seelisch angegriffen, was seine Miene noch ärger verfinsterte. Ernst Lürmann überlegte angestrengt, ob ihm sein Gesicht nicht aus einer Fahndungsliste bekannt war.
Laubmanns Blick hingegen verriet, daß er trotz des traurigen Ereignisses den detektivischen Nachwirkungen des Todesfalls mit einem gewissen Vergnügen entgegensah. Glöcklein, der dies bemerkte, glaubte, daß es dem Moraltheologen bei seinen detektivischen Bemühungen mehr um Selbstverwirklichung als um den Sieg der Gerechtigkeit ging, und das gefiel ihm ganz und gar nicht. ‹Wenn er dabei wenigstens mit Freude für das Ansehen unserer geliebten Mutter Kirche eintreten würde.›
Nicht zuletzt deswegen, nämlich um Laubmann nicht aus den Augen zu lassen, entschloß sich Albert Glöcklein spontan, auf der Babenburg zu bleiben. Ursprünglich hatte er geplant, möglichst einmal am Tag heraufzukommen und gleichsam eine Visitation der theologischen Veranstaltung vorzunehmen. Nun hielt er jedoch seine permanente Anwesenheit für erforderlich und bat Gisela Merten, ihm das standesgemäß eingerichtete Gästezimmer, das für die seltenen Besuche des Erzbischofs reserviert war, für diese Nacht und den weiteren Aufenthalt vorzubereiten.
Einen seiner klerikalen Untergebenen am Ordinariat scheuchte er telefonisch aus dem Bett, damit dieser in der Wohnung des Prälaten unverzüglich die nötigen Waschutensilien und Kleidungsstücke zusammensuche, um sie mit Hilfe eines Taxis auf die Burg zu schicken. «Falls es Sie nicht überanstrengt, noch vor der Frühmesse, wenn ich bitten darf.» In entscheidenden Momenten mußte man Strenge zeigen.
Die meisten Tagungsteilnehmer und Tagungsteilnehmerinnen hatten sich nach dem Aufnehmen ihrer Personalien auf ihre Zimmer im Gästetrakt zurückgezogen. Allen übrigen Anwesenden servierte Sophia Merten Sandwiches und heißen schwarzen Tee. Nur Professor Bach hatte sie gebeten, ihm einen starken Kaffee und einen doppelten Whisky aufs Zimmer zu bringen, sofern es nicht zu viele Umstände mache. Auch Philipp Laubmann brachte einen Sonderwunsch vor: Er bat um Pfefferminztee; denn die Minze würde ihn geistig anregen, und man wisse nicht, wie lange die Nacht noch dauere.
Und er bekam seinen Tee, ja wurde wie die anderen von Sophia Merten geradezu mütterlich umsorgt. Sie war mit ihren 48
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