Laubmann 2 - Bärenzwinger
den Ausgang: «Dann haben wir keine Chance, nicht da draußen und nicht bei dem Wetter. Gnade ihm Gott, wenn Forster in den Sturm geraten ist.»
Hans Merten öffnete die Tor einen Spalt und blickte, weil ihm der Wind ins Gesicht wehte, mit verkniffenen Augen hinaus auf die ehemalige Zugbrücke. «Hier ist in letzter Zeit keiner raus- oder reingegangen. Im Schnee sind keine Spuren.»
Folglich blieb ihnen nichts anderes übrig, als zum Hauptgebäude zurückzukehren. Schneeflockenglitzernd kamen sie an und trafen auf den Mainzer Professor für Moraltheologie, Peter Meister, der sie spöttisch begutachtete.
«Wir sind auf der Suche nach Herrn Dr. Forster», erklärte Gisela Merten.
«Ihm», sagte Meister beiläufig, während seine Hand durch seine grau-gelben Haarsträhnen fuhr, «bin ich im Konferenzsaal vor Beginn unserer Abendveranstaltung an der Treppe zum Besprechungszimmer begegnet. Er war, vermute ich, auf dem Weg dorthin.»
Aufgeregt eilten sie zum Vortragssaal, in dem sich nur noch Prälat Glöcklein und Dr. Böhmer aufhielten, offensichtlich in ein fesselndes Gespräch vertieft. Diese unterbrachen ihre Diskussion sofort, denn die Hast der anderen übertrug sich auf sie, und es war keine Frage, daß sie sich an der Nachforschung beteiligten. Nur Peter Meister verblieb abwartend am Eingang des Saals, wobei er sich erneut mit seinen Haarsträhnen beschäftigte und ihnen allen durch die starke Brille, die seine Kurzsichtigkeit ausglich, nachschaute.
Rasch waren sie die kurze Treppe hinaufgestiegen, über die man zum Besprechungszimmer gelangte, und rannten fast den Korridor zwischen Saal und Zimmer entlang. Vor der geschlossenen Tür verharrten sie ein paar Sekunden, als würde es ihnen angebracht erscheinen, jemanden vorab auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen. Der Kastellan drückte den Türgriff nach unten, doch diese Tür ließ sich nicht öffnen.
Nun wurde üblicherweise an der ebenfalls neueren Tür, die Altertümlichkeit bloß imitierte, aus dem Grund ein Schlüssel belassen, damit sie, um Störungen zu vermeiden, bei einer sehr ernsten Debatte oder Unterredung von innen verschließbar war. Doch selbst wenn sich Alfonso Forster oder sonstwer im Besprechungszimmer eingeschlossen haben mochte, keiner von denen, die draußen auf ein Lebenszeichen hofften, hätte in diesem Augenblick Rücksicht darauf nehmen wollen.
Man klopfte zuerst heftig und rief nach Professor Forster, aber nichts rührte sich hinter der Tür. Der Kastellan zog wieder einen der flachen Generalschlüssel hervor und probierte, ob er sich von außen ins Schloß einführen ließ, was auch gelang. Denn hätte hier ein Schlüssel von innen gesteckt, wäre das Schloß nicht wie bei den Gästezimmern von außen mit einem Zweitschlüssel zu öffnen gewesen, und sie hätten die Türe aufbrechen müssen. Das war jedoch nicht nötig, weil der Originalschlüssel der Tür in dieser Nacht fehlte.
Das milchige Deckenlicht, das Hans Merten einschaltete, leuchtete den vorher dunklen Raum vollkommen aus und offenbarte ein erschreckendes Bild. Gisela Merten preßte ihre Hände an den Mund und unterdrückte einen Aufschrei; Albert Glöcklein bekreuzigte sich. Vor ihnen auf dem Boden, zwischen einem der Stühle und dem langgezogenen Tisch, lag Professor Alfonso Forster. Er lag inmitten der von ihm gesuchten Unterlagen, die ihm im Fallen entglitten sein mußten.
Ein Anblick zum Gotterbarmen. Sein Kopf war merkwürdig nach oben gedreht; seine Augen waren starr, groß und ohne Leben. In den Haaren war dort, wo sie seinen Nacken überdeckten, ein rötlicher eingetrockneter Fleck erkennbar, und über seinen Hals war ein so feines Rinnsal aus Blut herabgelaufen, daß sich auf einem der beschriebenen weißen Blätter darunter nur wenige Tropfen angesammelt hatten. Sie waren in das Papier eingedrungen. Auf dem wächsernen Gesicht, das so etwas wie Erstaunen zeigte, traten die schwärzlichen Augenringe auffällig hervor. Forster hatte noch immer die Lesebrille, die jetzt über die Schulter herabhing, an einem Lederband um den Hals.
Nahe der Leiche schien ein größerer Kerzenständer aus Messing umgefallen zu sein. Das breite Sofa an der rechten Seitenwand, mit seinen barocken Schnitzereien über der hohen Rückenlehne und an den Armlehnen, schien hingegen unberührt zu sein. Der Stoff war von Pflanzen und Vogelmotiven durchwoben. Es wirkte, da frisch aufgepolstert, unecht, war jedoch eines der wenigen fürstbischöflichen Originalstücke auf der Burg. Die
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