Laubmann 2 - Bärenzwinger
finden.
Auf dem Rückweg – denn der Quergang endete blind an der Außenmauer – zögerte Hans Merten, als sie erneut an der Holztür angelangt waren. «Das kommt mir jetzt aber merkwürdig vor.» Er berührte den alten großen Schlüssel, der aus dem eisenbeschlagenen Schloß ragte. «Der steckt nämlich normalerweise auf der anderen Seite der Tür. Vielleicht hat sich Professor Forster doch hier umgesehen.»
«Wozu das denn?» Bebenhausen schüttelte den Kopf.
Der Kastellan zog den Schlüssel heraus und schob ihn von der Außenseite ins Schloß zurück – wie es seiner Ansicht nach richtig war.
Philipp Laubmann wollte es wieder mal genauer wissen: «Warum belassen Sie überhaupt die Schlüssel an den historischen Türen? Das ist ja nicht der einzige. Mir ist das gestern bereits aufgefallen.»
«Das müssen schon die Grafen so gehalten haben, die Vorbesitzer der Burg. Für uns hat das praktische Gründe. Es sind einfach zu viele, um sie alle zentral aufzubewahren, inklusive aller Zweit-, Dritt-, Nach- und Generalschlüssel. Und für mich persönlich hat’s auch was mit der Pflege der Burg als Denkmal zu tun: Die historischen Türen haben historische Schlösser, und dazu gehören nun mal die historischen Schlüssel. Sofern sie noch existieren.»
«Ist das nicht ein bißchen leichtfertig? Was, wenn nun jemand eine Tür zuschließt und den Schlüssel aus ‹historischem› Interesse einfach mitgehen läßt?»
«Sehen Sie, Herr Dr. Laubmann, da haben wir vorgesorgt. Zum einen sind manche der alten Schlösser gar nicht mehr funktionstüchtig, zum anderen besitzen wir, wie gesagt, für Schlösser wie dieses hier, die noch funktionieren, Zweitschlüssel. Bei uns wird im übrigen nichts gestohlen! Das hat Ihnen meine Tochter bereits versichert. Ich lasse sogar meine Werkstatt häufig unverschlossen, außer wenn ich in Urlaub bin.»
«Alfonso Forsters Zimmer aber wurde möglicherweise durchsucht.»
Gisela Merten wollte ihren Vater unterstützen. «Selbstverständlich bezieht sich diese ‹Leichtfertigkeit›, wie Sie das nennen, nicht auf die Gästezimmer oder auf private Räumlichkeiten und genausowenig auf die Dienstzimmer oder den Konferenzsaal. Der Saal etwa ist selbst für angemeldete Gäste nur bei Tagungen frei zugänglich. Touristen gelangen ohnehin bloß in den Außenbereich der Burg und möchten lediglich die Aussicht genießen oder unsere zwei Bärinnen beobachten. Und wer den Bergfried besichtigen will, muß sich extra einen Schlüssel aushändigen lassen.»
Der sensible Petrus von Bebenhausen wurde mehr als ungeduldig: «Ich bitte Sie alle, wir wollten uns um Professor Forster kümmern! Es könnte doch um Minuten gehen! Für Ihr Theoretisieren haben Sie später bestimmt noch genügend Zeit.»
Die anderen waren sofort seiner Meinung und schauten recht betreten. Aber sollten sie etwa die gesamte Burg absuchen? Gisela Merten schlug vor, zunächst in der nahen Burgbibliothek, dann im Kaminzimmer und schließlich in der Burgkapelle nachzusehen, weil diese Orte für Tagungsteilnehmer bewußt Tag und Nacht offengehalten würden. Vielleicht habe der Professor nur nachdenken wollen und sich in die Bibliothek oder die Kapelle zurückgezogen.
In der Burgbibliothek befand sich Alfonso Forster jedoch nicht. Ebensowenig im Kaminzimmer, in dem einige der Gelehrten beisammensaßen. Die vier kämpften sich deshalb durch das Schneegestöber bis zur Burgkapelle beim Torhaus, was nur über den äußeren Burghof möglich war. In der Kirche brannte kein Licht, außer dem Ewigen Licht nahe dem Tabernakel und einer Art Notbeleuchtung mitten im Kirchenschiff. Diese war an der gewölbten hölzernen Decke angebracht und verbreitete mehr Trostlosigkeit als Helligkeit. Die Kirche war menschenleer.
Sie standen ratlos im Tordurchgang und fühlten sich dort wie außerhalb der Welt. Der Schnee dämpfte alle Geräusche. Das Brausen des Windes, der die Schneeflocken vor sich hertrieb, verschluckte den Rest. Kaum daß sie die Glocke der Burgkapelle vernehmen konnten, die halb elf schlug. Die Laternen im Burghof waren nicht mehr zu erkennen.
«Und wenn Professor Forster die Burg verlassen hat; ich meine, wenn er sich von einem Spaziergang außerhalb der Burg eine Stärkung versprochen haben sollte?» Petrus von Bebenhausen hatte seine Stimme erhoben, um gegen den Wind anzureden. «Noch vor dem eigentlichen Sturm.»
Laubmann kam die Szenerie für einen Moment richtig biblisch vor, mit dem Wind und dem Anreden dagegen. Er wies auf
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